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Als ob das Verfahren gegen die personellen Überbleibsel der NSU vor dem Oberlandesgericht München nicht sowieso schon unfassbar aufwändig und langwierig (es fanden bereits über 250 Hauptverhandlungstage statt und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht), absonderlich (die Hauptangeklagte Zschäpe sagt bislang kein Wort, beantragt aber ab und an die Entpflichtung ihrer Verteidiger, Stellt Strafanzeigen gegen diese und hat jetzt sogar einen vierten Verteidiger bekommen) und und unübersichtlich (den Angeklagten und deren Verteidigern sitzen immerhin eine Unmenge Tatopfer als Nebenkläger einschließlich deren Anwälte gegenüber wäre), nimmt das gesamte Verfahren nun eine ganz andere absonderliche Wendung!

Vermeintliches NSU-Opfer existiert gar nicht – Anwalt vertrat Phantom

Nachdem es bereits zu Beginn dieser Woche zu Querelen zwischen einem Nebenklagevertreter aus Eschweiler und dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzel gab, ist nach Berichten von Spiegel ONLINE heute die Bombe – man entschuldige mir diesen Ausdruck – endgültig geplatzt. Der Rechtsanwalt aus Eschweiler vertrat im Rahmen des NSU-Prozesses die (angebliche) Nebenklägerin „Meral K.“, welche angeblich bei dem Nagelbombenanschlag des NSU im Juni 2009 in der Kölner Keupstraße Verletzungen davongetragen hätte.

Opfer lange Zeit für Gericht unauffindbar

Die Dame war, wie SO berichtet, bereits mehrfach als Zeugin geladen worden und nie zu den geplanten Vernehmungen erschienen. Mal wegen eines Zusammenbruchs auf dem Weg zum Gericht, mal wegen eines angeblich verpassten Fluges aus der Türkei. Dort soll sie sich nach den Angaben ihres Anwalts auch zuletzt befunden haben. Das Gericht hatte den Anwalt bereits zu Beginn dieser Woche in die Mangel genommen und verlangte Aufklärung über den Verbleib der Zeugin und Auskunft darüber, wann er zuletzt Kontakt mit ihr gehabt habe. Eine belastbare Antwort darauf fand der eschweiler Anwalt nicht.

Gericht drohte Anwalt bereits Ermittlungen an – Anwalt legt Mandat nieder

Das Gericht unter Vorsitz von Richter Götzl drohte dem Anwalt daraufhin bereits Ermittlungen über den Verbleib der Zeugin an. Heute nun kam heraus, dass das vermerintliche Opfer „Meral K.“ voraussichtlich gar nicht existiert. Die Existenz dieser Person sei ihm, so der Anwalt, von einem Kollegen offensichtlich nur vorgetäuscht worden. Der Anwalt hat – so berichtet Spiegel Online –  an diesem Freitag sein Mandat mit sofortiger Wirkung niedergelegt und das Oberlandesgericht München um seine Entbindung als Nebenklagevertreter im NSU-Verfahren gebeten. Er hat nach eigenen Angaben zudem Strafanzeige gegen den anderen Nebenkläger bei der Staatsanwaltschaft Köln erstattet.

Zulassung zur Nebenklage nur aufgrund eines gefälschten Attestes

Das Opfer „Meral K.“ war nur auf Grundlage eines ärztlichen Attestes als Nebenklägerin zugelassen worden, das der Anwalt im April 2013 an das Oberlandesgericht gefaxt hatte. Ein Arzt hatte es am 9. Juni 2004 erstellt, kurz nach dem Anschlag.  SPIEGEL ONLINE hat recherchiert, dass ein anderer Anwalt für den anderen Nebenkläger denselben Arztbericht eingereicht hatte, nur wird einmal Meral K. als Patientin genannt, einmal der andere Nebenkläger. Handschrift, Schriftbild, Inhalt, Datum und Unterschrift sind identisch. Am Oberlandesgericht ist dies offenbar nicht aufgefallen. Der Anwalt von „Meral K.“ hatte dem Gericht nach Informationen von SPIEGEL ONLINE nicht nur das Attest vorgelegt, sondern auch eine „eine Einladung des Bundespräsidenten“ als Begründung dafür vorgelegt, dass es sich bei der Person um ein Opfer des Nagelbombenanschlags handele. Lediglich auf dieser Grundlage wurde die Person als Nebenklägerin zugelassen. Bei dem Dokument, das er als Anlage an das Gericht sandte,  hatte es sich jedoch um eine Einladung des damaligen Münchener Oberbürgermeister Christian Ude gehandelt, welche „An die Opferfamilien der rechtsextremen Mordserie“ adressiert war – namentlich ist in dem Schreiben gar kein Opfer genannt. Der Anwalt erwähnt in seinem Fax an das Gericht auch eine Vernehmung seiner Mandantin durch die Kölner Polizei, die es wohl nie gegeben hat.

Höchst fragwürdiges Gebaren bei Mandatsakquise – Anwalt zahlt Kollegen Provision für Vermittlung

Wie sich aus der nun vorgelegten Stellungnahme des Anwalts aus Eschweiler ergibt, hat dieser dem genannten Kollegen sogar eine Provision für die Vermittlung des Mandats gezahlt.

Die Folgen indes dürften für beide Anwälte – Vermittler und vermittelten – erheblich sein. Zum einen dürfte bei der wissentlichen „Vermittlung“ einer nicht existenten Person als Mandat gegen Provision unschwer ein Betrug zu bejahen sein. Da dieser hier auch noch mit einer Reihe von Berufspflichtverstößen einhergeht, kann bei einem eventuellen Schuldspruch wohl mit Sicherheit mit einem entsprechenden Berufsverbot gerechnet werden.

Schaden bei Justizkasse dürfte sich bei über 250.000 EUR bewegen

Äußerst empfindlich wird die Sache jedoch für den Anwalt aus Eschweiler auch dann, wenn er immerhin nachweisen kann, dass er hier diesem Betrug aufgesessen ist. Denn: Ihn dürfte nun jedenfalls eine gewaltige Regressnahme der Landesjustizkasse erwarten. Man kann im vorliegenden Fall davon ausgehen, dass der als Nebenklagevertreter beigeordnete Kollege, der an allen mittlerweile 263 Sitzungstagen teilnahm, pro Tag im Schnitt 1.000,00 EUR an Gebühren bei der Staatskasse geltend gemacht hat. Jegliche Zahlung, die hier auf die Festsetzungsanträge erfolgt ist, dürfte nun sehr kurzfristig von der Justizkasse zurückgefordert werden – im schlimmsten Fall also bereits über 250.000,00 EUR.

Nebenklage unbekannter Weise möglich – Verfahren versinkt im Chaos

Durch diesen Vorgang tritt daneben auch wieder einmal zu Tage, in welch seltsamen Bahnen ab und an derartige Mandate, gerade bei der Vertretung einer Nebenklage im Strafverfahren ablaufen. Da das Tatopfer persönlich nicht am gesamten Prozess teilnehmen muss ist es wie hier durchaus möglich, dass ein Anwalt eine solche Nebenklage führen kann, ohne seinen Mandanten jemals zu Gesicht bekommen zu haben. Dabei darf auch nicht übersehen werden, welche (finanziellen) Begehrlichkeiten ein solches „Monsterverfahren“ in jedem einzelnen wecken kann – was dann gelegentlich auch einmal zur Anwendung unlauterer Mittel bei der Erlangung eines solchen Mandats führt. Im hiesigen Fall zeigt sich daneben um so mehr, in welch chaotischen administrativen Bahnen das Verfahren läuft.

Der Anwalt aus Eschweiler indes hat extra für das NSU-Verfahren sein Stadtratsmandat aufgegeben, um sich vol und ganz dem Prozess widmen zu können. Jetzt dürfte er wieder jede Menge Zeit haben, um sich um andere Dinge zu kümmern. Möglicherweise bald sogar mehr als ihm lieb ist.


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Rechtsanwalt & Strafverteidiger Tim Wullbrandt

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Prozess || Tim Wullbrandt | Rechtsanwalt für Strafrecht

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags von Baden-Württemberg befasste sich gestern, am 06.07.2015 in seiner Sitzung weiter mit der Aufklärung der Frage, ob es Verbindungen zwischen dem deutschen Ableger des Ku-Klux-Klans und der rechtsradikalen Terrorzelle NSU gab. Diese Verbindung drängt sich derzeit auf, da der Chef der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter Mitglied des Ku-Klux-Klans war.

Kutten, Fackeln, Kreuzverbrennungen – Ex-Frau von Klangründer Achim S. berichtet von Ritualen

Die Ex-Frau von S., Yvonne F., selbst ehemals Mitglied in dem rassistischen Geheimbund, berichtete vor dem Gremium aufgewühlt vom Martyrium in ihrer Ehe. Ihr Mann habe sie so geschlagen, dass sie 2002 ins Frauenhaus ging. Sie stellte ihren Partner, von dem sie sich 2004 endgültig getrennt hat, als „total durchgeknallten“ und brutalen Menschen dar. Er habe gesagt: „Nennt mich Gott.“.

Sie erzählte unter anderem von Ritualen mit Kutten, Fackeln und Kreuzverbrennungen. „Es war der Horror, mit dem Mann zusammen zu sein“, sagte die Pflegeassistentin. Der deutsche Ableger des Klans habe seinerzeit nur aus 8 oder 9 Mitgliedern bestanden – zwei davon der Gründer, ihr Ehemann, und sie selbst. Im Jahr 2002 allerdings habe Achim S. die Führung des Klans abgegeben. Sie selbst hat 2009 mit der rechten Szene gebrochen.

Rechtsanwalt Wullbrandt als Zeugenbeistand im Untersuchungsausschuss

In der Funktion als Zeugenbeistand wurde die Ex-Frau des Klangründers bei Ihrer Vernehmung im Untersuchungsausschuss im Landtag von Rechtsanwalt Tim Wullbrandt, Heidelberg, begleitet. Vor den Untersuchungsausschüssen des Bundestages und der Landtage ist das Recht auf Hinzuziehung eines anwaltlichen Zeugenbeistands gewährleistet.

Einen ausführlichen Bericht über die Geschehnisse des gestrigen Tages im NSU-Untersuchungsausschuss BW erhalten Sie auf den Webseiten des SWR Fernsehens: SWR Fernsehen – „Nennt mich Gott“ (Externer Link)

 

 

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Tim Wullbrandt || Strafrecht in Mannheim

Das Oberlandesgericht München hat (im Rahmen des NSU-Verfahrens, wo sonst?) einmal wieder beschlossen – und wie so oft bleibt nichts als Kopfschütteln! Das Thema wie so oft in der jüngeren Vergangenheit bereits: Die Pflichtverteidigervergütung.

Terminsgebühr bei geplatztem Termin

Das neueste Zauberstück des OLG: Der Beschluss vom 06.08.2014 – 6 St (K) 22/14 (Hier im Volltext bei Burhoff online zu lesen).Das Oberlandesgericht befasst sich darin mit der Frage, wann es berechtigt ist, eine beantragte Terminsgebühr des Pflichtverteidigers abzusetzen, wenn dieser wegen Terminen in der selben Sache bereits einen Tag vor sowie nach dem abgesetzten Hauptverhandlungstag zu weiteren Hauptverhanldungsterminen in München (Anreise aus Köln!) anwesend ist und der dazwischenliegende Hauptverhandlungstermin kurzfristig abgesetzt wird.

Zur Verdeutlichung: Es waren Hauptverhandlungstermine angesetzt für den 26., 27. und 28.05. Am 26.05. wurde der Termin für den 27.05. abgesetzt, die Verteidiger wurden abgeladen. Der für die Termine eigens aus Köln angereiste Pflichtverteidiger beantragte für den 27.05. eine Terminsgebühr. Diese wurde ihm (wie sollte es in München auch anders sein) vom Gericht auch auf die Erinnerung des Verteidigers hin verwehrt.

Gebühr setzt Anwesenheit voraus

Das OLG stellt zunächst noch einmal fest: Die Terminsgebühr gibt es nur dann, wenn man körperlich da war!

Es zementiert seine Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechende Auffassung, dass das Entstehen der Terminsgebühr von der Teilnahme an bzw. dem Erscheinen zu einem anberaumten Termin abhängig ist. Zu einem Termin erscheine ein Rechtsanwalt aber (nur), wenn er im Gerichtsgebäude mit dem Ziel der Teilnahme an dem Gerichtstermin körperlich anwesend ist (OLG München RVGreport 2008, 109 = NStZ-RR 2008, 159 = RVGprofessionell 2008, 104 = AGS 2008, 233 = StRR 2008, 199 = NJW 2008, 1607 =JurBüro 2008, 418 m. abl. Anm. Kotz; Beschl. v. 14.o3.2014 – 6 St (K) 5/14; Beschl. v. 19. 7. 2013, 6 St (K) 15/13).

berichtet der Kollege Detlef Burhoff, der sich mit der Entscheidung näher kritisch in seinem Blog auseinandersetzt.

Rechtzeitige Abladung?

Noch weiter und interessanter führt das Gericht jedoch dazu aus, wann die Abladung des Termins so rechtzeitig geschehen ist, dass der Verteidiger davon Kenntnis erlangen musste – und deswegen per se keine Terminsgebühr auch bei Erscheinen verlangen kann.Das OLG führt dazu aus,

Der Hauptverhandlungstermin vom 27.5.2014 wurde durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 26.5.2014 abgesetzt; die Prozessbeteiligten wurden am 26.7.2014 zwischen 13:21 Uhr und 15:42 Uhr per Telefax abgeladen. Rechtsanwalt H. steht auf dem Sendeprotokoll an zweiter Stelle; der Sendevermerk trägt den Kommentar „ok“. Es obliegt dem Antragsteller sicherzustellen, dass er von eingehenden Telefaxschreiben zeitnah Kenntnis nehmen kann.

Fazit: Die bladung ist also auch dann rechtzeitig, wenn sie bei bekannter Ortsabewsenheit des Verteidigers per Fax zu üblichen Geschäftszeiten am Vortrag des Termins in dessen Kanzlei eingeht. Wie er hiervon Kenntnis erlangt (Anruf des Sekretariats, Faxempfang per Mail oder ähnliches) liegt in seinem Verantwortungsbereich.

Was kostet die Welt?

Das das OLG sich bei seiner Entscheidung auch unter gar keinen Umständen um eventuelle wirtschaftliche Gesichtspunkte zu Gunsten der Staatskasse kümmert, macht es in aller Deutlichkeit mit seiner abschließenden Ausführung zu eventuell anfallenden – im Vergleich zur beantragten Terminsgebühr weit höheren – Reisekosten deutlich:

Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass er zur Vermeidung deutlich höherer Reisekosten am 27.5.2014 in München geblieben und nicht nach Köln zurückgereist ist, vermag dieser Gesichtspunkt eine Terminsgebühr für den 27.5.2014 nicht zu begründen. Der Vergütungsanspruch nach dem RVG muss sich an den tat-sächlichen Gegebenheiten orientieren, hypothetische Geschehensabläufe dürfen für die Frage des Vergütungsanspruchs keine Rolle spielen (OLG München NStZ-RR 2008, 159).

Punkt.