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Es ist kaum einige Tage her, dass der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck in Berlin angeblich mit einem Tütchen der Modedroge Chrystal Meth aufgeschnappt wurde, da tauchen schon die nächsten Presseartikel mit Details der Causa „Breaking Beck“ in diversen Nachrichtenportalen auf – und wäre es so wie beispielsweise Focus* oder der Tagesspiegel schreiben, dann würde das jedem Strafverteidiger oder auch nur jedem Anwalt, der irgendetwas mit Strafrecht zu tun hat, die Haare zu Berge stehen lassen. Es wäre nämlich ein Musterbeispiel dafür, wie eine (wohl) gut gemeinte Aussage die Sache nur noch schlimmer machen würde.

Keine Aussage ohne Anwalt – die goldene Regel

Die goldene Regel eines jeden Strafverteidigers, welche dieser seinen Mandanten immer zuerst und mit Nachdruck versucht nahezubringen lautet „Keine Aussage ohne Anwalt!“. Warum das so ist und aus Sicht jeden Anwalts im Strafrecht auch so sein muss, zeigt sich an der Darstellung des Falls Volker Beck in den oben genannten Nachrichtenmedien.

Wie mittlerweile einige Nachrichtenseiten melden soll Beck gegenüber der Polizei bereits im ersten Moment Angaben zu den bei ihm gefundenen Drogen gemacht und die „klassische“ Aussage geliefert haben, „die Drogen seien gar nicht für ihn“ um gleich darauf noch zu ergänzen, er handhabe seit je her einen liberalen Umgang mit Betäubungsmitteln. Wenn dem so wäre, dann wäre das der strafprozessuale Jackpot.

Wie wir zwischenzeitlich von Volker Becks Büro in Berlin erfahren haben, war dem wohl tatsächlich nicht so. Herr Beck habe keinerlei Angaben zur Sache gemacht, so teilte man uns von dort mit (Hier die uns übersendete Presseunterweisung Volker Beck 20160311 (002)).

Gut gemeint ist immer schlecht gemacht bei Aussagen

Dass, was der Focus da Herrn Beck in den Mund legt, kommt einem als Strafverteidiger durchaus bekannt vor. Die meisten Mandanten, zumindest die ohne Erfahrung mit Ermittlungsbehörden, haben den Wunsch und Willen, sich bereits von der ersten Sekunde an zu entlasten – und erzielen genau den gegenteiligen Effekt. Bei ihnen herrscht also noch immer der Irrglaube, man könne seine Situation verbessern, wenn man direkt etwas zur Sache sagt. Dieser Irrglaube kommt mit zwei – für die meisten Mandanten nicht kalkulierten – Problemen daher: 1. können die allermeisten Menschen mangels exakter Kenntnis der Tatbestände im Strafrecht garnicht abschätzen, was für sie besser oder schlechter ist und 2. schenken ihnen die Polizei und Staatsanwaltschaft in den meisten Fällen sowieso keinen Glauben.

Not oder Elend – was hätten Sie gerne?

Nehmen wir beispielsweise die Darstellung des Focus von einer angeblichen Aussage Becks. Focus Online zufolge soll er geäußert haben, „das Chrystal Meth sei garnicht für ihn bestimmt gewesen“ und nach Schilderung des Tagesspiegels online vom 12.03.2016 habe er „schon immer eine liberale Drogenpolitik vertreten“. Wenn das stimmen würde – was es ja nach seinen Angaben uns gegenüber nicht tut, dann wäre das menschlich vollkommen verständlich. Viele Beschuldigte in Ermittlungsverfahren reagieren entsprechend; es besteht der Drang, zum einen die Schuld von sich auf einen Fremden abzuwälzen und gleichzeitig die Überzeugung zu schaffen, so schlimm sei es ja nicht gewesen.

Ausgangspunkt der ganzen Sache war im Fall Beck der Fund eines Tütchens mit 0,6 Gramm Chrystal in seinem Besitz. Man könnte schon fast sagen, in Berlin, der Stadt von Berghain und Watergate, ist das normal (dementsprechend werden Verfahren bei solchen Mengen in Berlin auch sehr oft sang- und klanglos eingestellt). Zugegeben ist es ein Skandal, dass ein Bundestagsabgeordneter mit illegalen Drogen erwischt wird. Aber in rein strafrechtlicher Hinsicht ist das zu verschmerzen. 0,6 Gramm Chrystal sind eine geringe Menge und offensichtlich für den Eigengebrauch gedacht. Nicht schön, aber wer es braucht… Auch in anderen, konservativeren Bundesländern wäre hierfür wohl eine Strafe von maximal 30 Tagessätzen zu erwarten, das ganze würde per Strafbefehl ohne großes Aufsehen und Verfahren erledigt. Ärgerlich, aber schnell ohne größere Blessuren vorbei. Wenn man – wie Beck – keine Aussage macht hätte und seinen Strafverteidiger alles regeln lässt. Wenn.

Per voreiliger Aussage vom Besitz zur Weitergabe von Drogen

Laut anderslautender Meldung bei Focus online habe er nun aber die Polizei wissen lassen, das Chrystal sei garnicht für ihn bestimmt gewesen. Wäre das tatsächlich der Fall gewesen, dann wäre das ein Dilemma. Denn: Sollte man einem auf frischer Tat ertappten Beschudigten diese Aussage tatsächlich glauben, dann würde sich die juristische Bewertung des Vorgangs ganz gravierend ändern – nämlich vom (teilweise – vor allem in Berlin – glatt straflosen) Eigenbesitz einer Minimenge Modedroge hin zur unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln.

Und was ist mit dem Einzelfall? Nun ja, wer  – wie es der Tagesspiegel Beck in den Mund legt – angibt, er handhabe den Umgang mit Betäubungsmitteln seit je her „liberal“, der dürfte Aug in Aug mit einem Einzelrichter kaum darauf hoffen, dass dieser von einen Einzelfall ausgeht.

Fazit: Zurückhaltung üben und keine Aussage machen!

Beck hat alles richtig gemacht und keine Angaben zur Sache gemacht. Denjenigen, die es doch tun, ist das menschlich nicht vorzuwerfen – sie erliegen schlicht dem Drang, sich irgendwie aus der höchst prekären Situation des Drogenfunds herauszureden. In strafrechtlicher Hinsicht ist es eine Katastrophe und dürfte für diejenigen gleich wie unglaublich teuer werden (sei es die Geldstrafe oder das Honorar für seinen Strafverteidiger (der jetzt um so mehr Arbeiten muss) – oder eben beides). Daher am Beispiel Volker Beck erklärt noch einmal der unbedingte Rat:

Bei Ermittlungen und wenn die Polizei Sie als Beschuldigten vernimmt – machen Sie NIEMALS eine Aussage, ohne zuvor einen Strafverteidiger beauftragt zu haben!


Hinweis: In einer vorherigen Version dieses Artikels hieß es unter Verweis auf die Quellen Focus online und Tagesspiegel online noch, Volker Beck habe bereits bei Auffinden der Drogen durch die Polizei geäußert, diese seien nicht für ihn bestimmt. Dabei handelt es sich um eine Falschmeldung der Presse, wie uns im Nachhinein das Büro von Herrn Beck mitteilte.


Quelle: Focus Online, Meldung vom 11.3.2016, http://www.focus.de/politik/deutschland/drogenfund-bei-volker-beck-becks-aussage-bei-polizei-und-bringt-ihn-noch-mehr-in-schwierigkeiten_id_5350159.html


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Der Zeitpunkt der ersten Einlassung des Angeklagten darf vom Gericht nicht nachteilig bewertet werden. Es darf dem Angeklagten auch nicht zur Last gelegt werden, wenn er von seinem Schweigerecht Gebrauch macht.

BGH: Es darf nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden, wann dieser seine erste Einlassung abgibt

So entschied der Bundesgerichtshof (BGH) zuletzt durch Beschluss vom 13.10.2015 – 3 StR 344/15. In dem ursprünglichen Verfahren war der Angeklagte wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmittelb zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Zu dem „bewaffneten“ Handeltreiben kam es, da bei der Festnahme des Angeklagten neben Drogen auch eine mit 5 Schuss geladene Gaspistole im Auto unter dem Fahrersitz gefunden wurde. Der Strafverteidiger des Angeklagten hatte gegen das Urteil des Landgerichts Revision eingelegt, da das Landgericht seine Entscheidung unter anderem mit dem Zeitpunkt der EInlassungen zum Thema „wie kam die Waffe dorthin“ des Angeklagten und seiner Verlobten begründet. Das war nach Ansicht des BGH rechtsfehlerhaft.

Angeklagter bestritt Kenntnis von der Waffe

Der Angeklagte hatte nach seiner Festnahme zwar den Besitz und die Absicht, zumindest Teile der gefundenen Drogen verkaufen zu wollen, gestanden. Er bestritt jedoch, von der Waffe Kenntnis gehabt zu haben. Die Waffe habe vielmehr wohl seine Verlobte ohne sein Wissen im Auto abgelegt. Dies habe sie getan, da im Haus – wo die Waffe für gewöhnlich deponiert war – ein Kindergeburtstag stattgefunden habe und sie nicht wollte, dass bei dieser Gelegenheit die Waffe im Haus war.

Landgericht glaubt Einlassung nicht – weil sie spät erfolgt

Die entscheidende Strafkammer am Landgericht Lüneburg glaubte diese Einlassung jedoch nicht und sah sie als widerlegt an. Ebenso schenkte das Gericht der Zeugenaussage der Verlobten des Angeklagten in der Hauptverhandlung keinen Glauben. Das Gericht begründete dies damit, dass es keinen Grund gäbe, weshalb die Verlobte mit ihrer entlastenden Aussage – welche sie dem Strafverteidiger des Angeklagten gegenüber bereits wesentlich früher geäußert hatte – bis zur Hauptverhandlung warten solle. Das Gericht leitete für sich daraus ab, dass es sich dabei offensichtlich um eine abgesprochene Aussage handele.

BGH sagt: Es ist egal, wann eine Einlassung des Angeklagten kommt

Der Bundesgerichtshof sah dies in der vom Verteidiger des Angeklagten eingelegten Revision anders. Der BGH führt aus, dass die Erwägung, es handele sich bei der EInlassung des Angeklagten um eine abgestimmte Einlassung, da sie erst spät im Verlauf der Hauptverhandlung erfolgt und aus diesem Grund sei ihr kein Glauben zu schenken

…gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten verstößt. Diesem kann der Zeitpunkt, zu dem er erstmals eine entlastende Einlassung vorbringt, nicht zum Nachteil gereichen.

Schweigerecht ist elementarer Bestandteil des Strafverfahrens

Das Schweigerecht eines Angeklagten und damit der Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten muss, ist elementarer Bestandteil eines fairen Verfahrens und damit des rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Der Angeklagte im Strafverfahren kann jederzeit selbst entscheiden, ob er eine Aussage macht oder nicht. Macht der Angeklagte keine Aussage, dann darf ihm das nicht zum Nachteil gereichen. Diese absolute Entscheidungsfreiheit setzt natürlich voraus, dass der Angeklagte nicht befürchten muss, dass ihm nur aus dem Zeitpunkt einer – wahrheitsgemäßen – Einlassung könnten ihm Nachteile entstehen. Denn: Auch die Gründe und Beweggründe für eine Aussage dürfen nicht nachteilig bewertet werden. Muss der Angeklagte also befürchten, dass er bei einer Einlassung im Nachhinein negative Konsequenzen erleidet, weil er diese EInlassung erst spät abgibt, dann ist er dazu verleitet lieber gar keine Aussage zu machen als eine späte. Diese Motivationslage darf nicht herrschen. Der BGH hat also noch einmal festgehalten, dass weder aus der durchgehenden noch aus der anfänglichen Aussageverweigerung – und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem sich der Angeklagte erstmals einlässt – nachteilige Schlüsse gezogen werden dürfen. Dass der Angeklagte die Ermittlungsbehörden also nicht früher über die Angaben seiner Verlobten in Kenntnis gesetzt hatte, darf deshalb bei der Bewertung seiner Aussage keine Berücksichtigung finden.


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