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Was ist eine Insolvenzanfechtung?

Insolvenzrecht - WULLBRANDT Rechtsanwälte

Was ist eine Insolvenzanfechtung? Diese Frage stellt man sich als Laie spätestens dann, wenn man Post von einem Insolvenzverwalter erhält, der einem die Anfechtung einer Zahlung im Insolvenzverfahren erklärt. Mit der Insolvenzanfechtung hat ein Insolvenzverwalter ein sehr mächtiges Werkzeug an der Hand, um die Masse (also die zur Verteilung kommende Vermögensmenge des insolventen Unternehmens) zu erhöhen. Wie das ganze funktioniert und was es für Sie bedeutet, wenn Sie Post vom Insolvenzverwalter erhalten, in der Ihnen eine Anfechtung erklärt wird, das erklären wir in diesem Artikel.

Was ist eine Insolvenzanfechtung

Bereits vor einiger Zeit haben die FAZ und auch wir auf einem Beitrag darüber berichtet, dass die Zahl der Insolvenzanfechtungen in Deutschland erheblich steigt. Hier möchten wir nun einmal in der nötigen Kürze erklären, was eigentlich eine Insolvenzanfechtung ist und wie man sich dagegen wehren kann.

In aller Kürze: Wird über das Vermögen eines Firma oder Person das Insolvenzverfahren (diese Firma oder Person nennt man „Insolvenzschuldner“) eröffnet, dann kann der Insolvenzverwalter Zahlungen, welche der Insolvenzschuldner vor der Insolvenzeröffnung an seine Gläubiger geleistet hat, anfechten und vom Gläubiger zurückfordern. Ein Beispiel:

Fliesenleger F erhält vom Bauträger B einen Auftrag. F erledigt seine Arbeiten und stellt die vereinbarten 25.000 EUR am 1. März in Rechnung. B zahlt nicht. F mahnt mehrfach und beantragt einen Mahnbescheid. am 15. Juli endlich zahlt der B die 25.000 EUR. Am 1. September stellt B Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht. am 1. Oktober wird das Insolvenzverfahren eröffnet. Der vom Gericht eingesetzte Insolvenzverwalter I schreibt nun am 5. Oktober den F an und fordert von diesem die erhaltenen 25.000 EUR zurück.

Diese Rückforderung ist schlussendlich die Insolvenzanfechtung. Der Insolvenzverwalter hat eine Zahlung des Insolvenzschuldners angefochten.

Die gesetzlichen Regelungen hierzu finden sich in der Insolvenzordnung, dort in den §§ 129 bis 147 InsO (Insolvenzordnung)

Welchen Sinn hat eine Insolvenzanfechtung?

Die Insolvenzanfechtung ist eines der Rechtsinstitute, das von Laien als am meisten ungerecht und am wenigsten verständlich angesehen wird (und das möglicherweise auch zu Recht). Denn es sorgt dafür, dass man unter Umständen Verdienste für eigene lange Arbeit zurückzahlen muss und unter anderem selbst in wirtschaftliche Bedrängnis oder gar Not hierdurch gerät. Grund dafür ist die eigentliche Systematik des Insolvenzverfahrens. Denn: Zweck eines Insolvenzverfahrens ist es, die

Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt

wird (§ 1 InsO). Das Insolvenzrecht stellt also die Gläubigergemeinschaft in den Vordergrund – dieser hat sich der einzelne unterzuordnen. Der Insolvenzverwalter ist im Verfahren der Gläubigergesamtheit verpflichtet und muss damit dafür sorgen, dass so viel wie möglich Masse erzeugt wird. Der Hintergrdanke einer Insolvenzanfechtung ist also, dass man Wohl der Gläubigergesamtheit der einzelne zurückstecken und zurückzahlen muss (unabhängig davon, ob er hierfür Leistungen erbracht hat).

Wer kann anfechten?

Insolvenzanfechtungen gehen immer vom Insolvenzverwalter aus, nur er kann anfechten. Unter Umständen beauftragt er mit der Anfechtung eine Rechtsanwaltskanzlei, die dann in seinem Namen tätig wird.

Wer ist Gegner der Anfechtung?

Die Insolvenzanfechtung richtet sich immer gegen Zahlungen und Leistungen des Insolvenzschuldners an seine Gläubiger. Anfechtungsgegner ist also immer ein Zahlungsempfänger (ehemaliger Gläubiger) oder Leistungsempfänger des Insolvenzschuldners. In den meisten Fällen also Dienstleister und Auftragnehmer des Insolvenzschuldners, welche vor der Insolvenzeröffnung Leistungen für diesen ausgeführt und dafür eine Entlohnung erhalten haben.

Was wird angefochten?

Angefochten werden können zunächst Zahlungen des späteren Insolvenzschuldners. Ebenso anfechtbar sind aber auch alle sonstigen Rechtshandlungen des Insolvenzschuldners, welche das Vermögen (= die spätere Insolvenzmasse) schmälern und verkleinern. Dazu gehören beispielsweise Verkäufe von Waren und Geschäftsausstattung unter Wert, Einkauf von Waren zu überhöhten Preisen, Schenkung von Sachen aus dem Geschäftsvermögen, Gewährung von Sicherheiten wie Grundschulden, Grundpfandrechten, Pfandrechten, Abtretung von Rechten, Verpfändungen, Belastungen von Grundstücken.

Welche Zahlungen / Handlungen können angefochten werden?

Wer bis hier gelesen hat stellt sich nun womöglich die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist Geschäfte zu tätigen ohne permanent befürchten zu müssen, dass der Geschäftspartner in die Insolvenz gerät und man dann alles verdiente wieder zurückzahlen muss. Das ist es – denn ein Insolvenzverwalter kann nicht beliebig alle Zahlungen anfechten, Es müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen, damit eine Zahlung angefochten werden kann.

Rückzahlung und Besicherung von Gesellschafterdarlehen

Regelmäßig anfechtbar ist die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen in einem Zeitraum von bis zu einem Jahr vor der Stellung des Insolvenzantrags (nicht vor Eröffnung des Verfahrens!). Das gleiche gilt für die Gewährung von Sicherheiten für die Gesellschafterdarlehen an den darlehensgebenden Gesellschafter – hier allerdings innerhalb eines Zeitraums von bis zu 10 Jahren (!) vor Stellung des Insolvenzantrags.

Eine Ausnahme hiervon gilt lediglich für Minderheitsgesellschafter.

Leistungen ohne entsprechende Gegenleistung

Zahlungen und Leistungen, welche der Insolvenzschuldner innerhalb von 4 Jahren vor Insolvenzantragstellung getätigt hat ohne dass dafür eine wirtschaftlich adäquate Gegenleistung erbracht wurde, sind immer anfechtbar. Dies betrifft sowohl Schenkungen, als auch Geschäfte, in denen absichtlich ein überhöhter Preis vereinbart wurde, um beispielsweise Ausfälle an anderer Stelle zu kompensieren. Ebenso erfasst ist hier das „Verramschen“ von Vermögenswerten in Kenntnis der drohenden Insolvenz (also wenn Vermögenswerte des Insolvenzschuldners noch schnell beiseite geschafft werden sollen – beispielsweise der Verkauf von Firmenfahrzeugen zu Schleuderpreisen).

Nicht anfechtbar sind hingegen Gelegenheitsgeschenke im üblichen / adäquaten Rahmen.

Leistungen an nahestehende Personen

Leistungen des Insolvenzschuldners an diesem „nahestehende“ Personen sind für den Insolvenzverwalter äußerst leicht anfechtbar. Das hat seinen Grund darin, dass das Gesetz die Vermutung birgt, eine nahestehende Person habe grundsätzlich Kenntnis von der wirtschaftlichen Lage des (späteren) Insolvenzschuldners.

Was sind nahestehende Personen?

Zuerst sollten wir kurz klären, was „nahestehende“ Personen im Sinne der Insolvenzordnung sind. Dies sind bei einer Kapitalgesellschaft (GmbH, AG und ähnliche) beispielsweise

  • GmbH-Geschäftsführer
  • Vorstände
  • Aufsichtsräte
  • Prokuristen
  • leitende Angestellte
  • Komplementäre einer KG
  • OHG-Gesellschafter

Ist die Beteiligung gleich oder größer als 25 Prozent am Gesellschaftsvermögen, dann zählen zu den nahestehenden Personen auch

  • GmbH-Gesellschafter
  • Aktionäre
  • Kommanditisten

Bei Individualpersonen (im Rahmen einer rPrivatinsolvenz oder bei Einzelkaufleuten) zählen zu den nahestehenden Personen unter anderem

  • Ehepartner / Lebenspartner
  • nahe Verwandte

Welcher Zeitraum ist relevant?

Bei Anfechtung von Zahlungen / Leistungen an nahe Verwandte ist zunächst zu beachten, dass Zahlungen innerhalb der letzten drei Monate vor Insolvenzantragstellung fast immer anfechtbar sind. Ist nachweisbar, dass mit der Zahlung die Begünstigung eines einzelnen Gläubigers (und damit die Benachteiligung der anderen Gläubiger) erreicht werden sollte, dann sind diese Zahlungen innerhalb von zwei Jahren vor Insolvenzantragstellung anfechtbar.

Kann diese Anfechtung abgewehrt werden?

Da das Gesetz hier nur die Vermutung in sich trägt, die nahestehende Person habe von der wirtschaftlichen Krise gewusst, kann diese Vermutung widerlegt werden und somit die Anfechtung abgewendet werden.

Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung

Zahlungen und Leistungen, welche eine unmittelbare Benachteiligung der anderen Gläubiger nach sich ziehen, sind immer anfechtbar. Dies sind insbesondere Zahlungen in dem Zeitraum, in welchem der Insolvenzschuldner bereits zahlungsunfähig ist oder gar bereits Insolvenzantrag gestellt wurde. und der Zahlungsempfänger dies wusste (oder eine nahestehende Person ist, von der man ja ausgeht, dass sie es wusste). Zeitlich erfasst sind hier Zahlungen und Handlungen in den letzten drei Monaten vor Insolvenzantrag, wurde die Zahlung an eine nahestehende Person geleistet, dann innerhalb der letzten 2 Jahre vor Insolvenzantrag.

Kongruente Zahlungen bei Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit

Zahlungen und Leistungen innerhalb von drei Monaten vor dem Insolvenzantrag sind auch dann anfechtbar, wenn es sich dabei um „konkruente Deckungen“ handelt, der Gläubiger aber Kenntnis von der bevorstehenden Insolvenz hatte. Hierbei handelt es sich um einen der – gerade für Handwerksbetriebe und Dienstleister – ärgerlichsten Fälle der Insolvenzanfechtung. Denn: „kongruente Deckung“ bedeutet, dass dem Grunde nach der Zahlungsempfänger einen fälligen und durchsetzbaren Anspruch auf die empfangene Leistung oder Zahlung hatte. Beispiel: Ein Handwerker hat Arbeiten erbracht, eine Rechnung gestellt und diese nun bezahlt bekommen.

Diese „verdienten“ Zahlungen sind jedoch anfechtbar, wenn der Zahlungsempfänger von der Insolvenzreife des Schuldners wusste. Diese Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit ist das größte Streitthema im Rahmen von Gerichtsprozessen in Bezug auf Insolvenzanfechtungen. Denn da sich diese Kenntnis selten beweisen lässt werden Indizien für die Kenntnis herangezogen. Dazu zählt beispielsweise, ob Forderungen mehrfach gemahnt werden mussten, Ratenzahlungen vereinbart wurden und ähnliches.

Fixe Kriterien, wann diese Kenntnis vorlag oder eben nicht, bestehen nicht. In jedem Fall ist hier einzeln zu erörtern, woraus der Insolvenzverwalter die Kenntnis herleitet und wie hoch das Risiko eines möglichen Gerichtsprozesses sein wird.

Inkongruente Zahlungen = Gläubigerbevorzugung

Oben haben wir bereits geschildert, dass kongruente Zahlungen solche sind, bei denen der Empfänger eine fällige und durchsetzbare Forderung als „Gegenstück“ besitzt. Bei inkongruenten Deckungen ist das genau umgekehrt. Hier hat der Empfänger gerade (noch) keinen fälligen Anspruch auf die Zahlung oder Leistung.

Zur Erklärung: Die Inkongruenz einer Deckung setzt nicht voraus, dass der Empfänger gar keinen Anspruch auf die Leistung hat. Laut Gesetzt liegt die Inkongruenz vor, wenn der Empfänger eine Zahlung oder Leistung erhalten hat, welcher er „nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte“. Beispiel: Der Insolvenzschuldner gewährt einem Kreditgeber mehr Sicherheiten als erforderlich. Oder ein Handwerker erbringt Leistungen, der Insolvenzschuldner zahlt bereits die voraussichtlichen Rechnungsbeträge, obwohl noch gar keine Rechnung gestellt wurde.

Vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung

Erbringt der (spätere) Insolvenzschuldner Leistungen oder Zahlungen vorsätzlich, um damit andere Gläubiger zu schädigen, dann sind diese Zahlungen und Leistungen immer anfechtbar. Je nachdem, ob bereits Zahlungsunfähigkeit vorlag und ob der Empfänger der Zahlung oder Leistung von beiden Umständen Kenntnis hatte, sind diese Zahlungen bis zu 10 Jahre vor Insolvenzantragstellung anfechtbar.

Nicht anfechtbar: Bargeschäfte

Nicht angefochten werden können sogenannte Bargeschäfte. Bargeschäfte setzen nicht zwingend voraus, dass eine Leistung tatsächlich in Bar bezahlt wird. Vielmehr liegt ein Bargeschäft dann vor, wenn Leistung und Preis in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, Leistungserbringung und Zahlung in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen (die Zahlung darf maximal 30 Tage nach Leistungserbringung erfolgen) und das Geschäft die anderen Gläubiger nicht benachteiligt.

Muss ich tatsächlich Zahlungen an den Insolvenzverwalter leisten?

Ist eine Anfechtung begründet, dann müssen selbstverständlich die geforderten Summen an den insolvenzverwalter gezahlt werden. Erfolgt keine Zahlung, dann wird der Insolvenzverwalter Sie auf Zahlung verklagen und gegebenen Falles die Zwangsvollstreckung gegen Sie einleiten.

Wie kann man sich gegen eine Insolvenzanfechtung wehren?

Zunächst sollten Sie sich anwaltlich beraten lassen und prüfen lassen, ob der Anfechtungsanspruch berechtigt ist. Sollte man dann feststellen, dass der Anspruch unberechtigt ist sollte bereits außergerichtlich durch einen Anwalt versucht werden, die Forderung des Insolvenzverwalters abzuwenden.

Sollte man jedoch im Rahmen der Prüfung feststellen, dass die Forderung berechtigt ist – oder zumindest sein könnte – dann ist es ratsam, über den beauftragten Rechtsanwalt  mit dem Insolvenzverwalter in Kontakt zu treten und an einem außergerichtlichen Vergleich zu arbeiten. Aufgrund der großen Unsicherheiten bei Anfechtungsprozessen und den damit verbundenen Kosten und dem Zeitverlust sind Insolvenzverwalter fast immer bereit, einen Vergleich zu treffen statt jedenfalls eine Klage anzustrengen.

Lassen sich Insolvenzanfechtungen vermeiden?

Insolvenzanfechtungen lassen sich mit gewissem Aufwand vermeiden. Einerseits sind Anfechtungen bei Bargeschäften nicht möglich – wenn Sie also die Möglichkeit haben, Vorkasse zu verlangen oder Ihre Rechnungsposten unmittelbar einzuziehen, dann sollten Sie dies tun.

Bei Dienstleistern, die auf Rechnungsbasis tätig sind, lässt sich das Risiko von Insolvenzanfechtungen durch Compliance- und Controllingmaßnahmen im Bestellwesen und Rechnungswesen eindämmen. Bei Fragen hierzu stehen wir Ihnen gerne persönlich zur Verfügung.

Daneben besteht die Möglichkeit, spezielle Ausfallversicherungen gegen Insolvenzanfechtungen abzuschließen.

 


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