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Tim Wullbrandt || Strafrecht in Mannheim

Ist eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Akteninhalt im Rahmen der Hauptverhandlung erforderlich und reicht die eingeschränkte Akteneinsicht des Angeklagten hierfür nicht aus, ist gemäß § 140 II StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

(zu LG Köln, Beschluss vom 29.08.2014 – 113 Qs 51/14)

Sachverhalt

Dem Angeklagten (A) wird (jedenfalls auch) die Begehung einer falschen Verdächtigung gem. § 164 StGB vorgeworfen. Die beantragte Beiordnung des Verteidigers des A gem. § 140 II StPO lehnte das AG mit Beschluss vom 16.7.2014 ab. Hiergegen wendet sich A mit der Beschwerde.

Rechtliche Wertung

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gem. § 140 II StPO sei im Hinblick auf den Umstand, dass nach § 147 I StPO nur der Verteidiger umfassende Akteneinsicht habe, angezeigt, wenn für eine sachdienliche Verteidigung die genaue Aktenkenntnis erforderlich sei. Vorliegend sei dem AG zwar insoweit zuzustimmen, als es sich weder um eine besonders komplizierte oder umfangreiche Sache gehandelt habe noch schwierige Rechtsfragen zu entscheiden gewesen seien. Allerdings sei es angesichts des Tatvorwurfs der falschen Verdächtigung (§ 164 StGB), der im Rahmen der Hauptverhandlung regelmäßig eine schwierige Beweisführung erfordere, nötig, sich ausführlich und exakt mit Zeugenaussagen und Urkunden zu befassen. Die dafür erforderliche umfassende Kenntnis der Akte sowie der Beiakten könne nicht durch das eingeschränkte Akteneinsichtsrecht des A nach § 147 VII StPO gewährleistet werden. Die Befassung mit der Akte (insgesamt 3 Bände) habe zudem, um iRd Beweisaufnahme eine effektive Verteidigung zu ermöglichen, vor der Hauptverhandlung zu geschehen und könne nicht etwa in einer kurzen Unterbrechung der Sitzung erfolgen.

Tim Wullbrandt || Strafrecht in Mannheim

Das Oberlandesgericht München hat (im Rahmen des NSU-Verfahrens, wo sonst?) einmal wieder beschlossen – und wie so oft bleibt nichts als Kopfschütteln! Das Thema wie so oft in der jüngeren Vergangenheit bereits: Die Pflichtverteidigervergütung.

Terminsgebühr bei geplatztem Termin

Das neueste Zauberstück des OLG: Der Beschluss vom 06.08.2014 – 6 St (K) 22/14 (Hier im Volltext bei Burhoff online zu lesen).Das Oberlandesgericht befasst sich darin mit der Frage, wann es berechtigt ist, eine beantragte Terminsgebühr des Pflichtverteidigers abzusetzen, wenn dieser wegen Terminen in der selben Sache bereits einen Tag vor sowie nach dem abgesetzten Hauptverhandlungstag zu weiteren Hauptverhanldungsterminen in München (Anreise aus Köln!) anwesend ist und der dazwischenliegende Hauptverhandlungstermin kurzfristig abgesetzt wird.

Zur Verdeutlichung: Es waren Hauptverhandlungstermine angesetzt für den 26., 27. und 28.05. Am 26.05. wurde der Termin für den 27.05. abgesetzt, die Verteidiger wurden abgeladen. Der für die Termine eigens aus Köln angereiste Pflichtverteidiger beantragte für den 27.05. eine Terminsgebühr. Diese wurde ihm (wie sollte es in München auch anders sein) vom Gericht auch auf die Erinnerung des Verteidigers hin verwehrt.

Gebühr setzt Anwesenheit voraus

Das OLG stellt zunächst noch einmal fest: Die Terminsgebühr gibt es nur dann, wenn man körperlich da war!

Es zementiert seine Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechende Auffassung, dass das Entstehen der Terminsgebühr von der Teilnahme an bzw. dem Erscheinen zu einem anberaumten Termin abhängig ist. Zu einem Termin erscheine ein Rechtsanwalt aber (nur), wenn er im Gerichtsgebäude mit dem Ziel der Teilnahme an dem Gerichtstermin körperlich anwesend ist (OLG München RVGreport 2008, 109 = NStZ-RR 2008, 159 = RVGprofessionell 2008, 104 = AGS 2008, 233 = StRR 2008, 199 = NJW 2008, 1607 =JurBüro 2008, 418 m. abl. Anm. Kotz; Beschl. v. 14.o3.2014 – 6 St (K) 5/14; Beschl. v. 19. 7. 2013, 6 St (K) 15/13).

berichtet der Kollege Detlef Burhoff, der sich mit der Entscheidung näher kritisch in seinem Blog auseinandersetzt.

Rechtzeitige Abladung?

Noch weiter und interessanter führt das Gericht jedoch dazu aus, wann die Abladung des Termins so rechtzeitig geschehen ist, dass der Verteidiger davon Kenntnis erlangen musste – und deswegen per se keine Terminsgebühr auch bei Erscheinen verlangen kann.Das OLG führt dazu aus,

Der Hauptverhandlungstermin vom 27.5.2014 wurde durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 26.5.2014 abgesetzt; die Prozessbeteiligten wurden am 26.7.2014 zwischen 13:21 Uhr und 15:42 Uhr per Telefax abgeladen. Rechtsanwalt H. steht auf dem Sendeprotokoll an zweiter Stelle; der Sendevermerk trägt den Kommentar „ok“. Es obliegt dem Antragsteller sicherzustellen, dass er von eingehenden Telefaxschreiben zeitnah Kenntnis nehmen kann.

Fazit: Die bladung ist also auch dann rechtzeitig, wenn sie bei bekannter Ortsabewsenheit des Verteidigers per Fax zu üblichen Geschäftszeiten am Vortrag des Termins in dessen Kanzlei eingeht. Wie er hiervon Kenntnis erlangt (Anruf des Sekretariats, Faxempfang per Mail oder ähnliches) liegt in seinem Verantwortungsbereich.

Was kostet die Welt?

Das das OLG sich bei seiner Entscheidung auch unter gar keinen Umständen um eventuelle wirtschaftliche Gesichtspunkte zu Gunsten der Staatskasse kümmert, macht es in aller Deutlichkeit mit seiner abschließenden Ausführung zu eventuell anfallenden – im Vergleich zur beantragten Terminsgebühr weit höheren – Reisekosten deutlich:

Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass er zur Vermeidung deutlich höherer Reisekosten am 27.5.2014 in München geblieben und nicht nach Köln zurückgereist ist, vermag dieser Gesichtspunkt eine Terminsgebühr für den 27.5.2014 nicht zu begründen. Der Vergütungsanspruch nach dem RVG muss sich an den tat-sächlichen Gegebenheiten orientieren, hypothetische Geschehensabläufe dürfen für die Frage des Vergütungsanspruchs keine Rolle spielen (OLG München NStZ-RR 2008, 159).

Punkt.