Strafrecht Entscheidungen und Urteile

Beck-Online zu EuGH, Urteil vom 16.01.2014 – C-378/12; C-400/12.

Zeiträume der Strafhaft können weder für den Erwerb eines Daueraufenthaltstitels noch für die Gewährung eines verstärkten Schutzes vor Ausweisung berücksichtigt werden. Die Kontinuität der für die Gewährung dieser Vorteile erforderlichen Zeiträume werde grundsätzlich durch Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe unterbrochen, stellt der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteilen vom 16.01.2014 klar (Az.: C-378/12 und C-400/12).

Recht auf Daueraufenthalt nach fünf Jahren erwerbbar

Unionsbürger, die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben, haben das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen für das Recht geknüpft, sich im Aufnahmemitgliedstaat länger als drei Monate aufzuhalten (Richtlinie 2004/38/EG, Ausübung einer Berufstätigkeit, Studium et cetera). Die Familienangehörigen dieser Unionsbürger, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit ihnen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben, erwerben ebenfalls das Recht auf Daueraufenthalt. Der Aufnahmemitgliedstaat darf dann eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen. Gegen Unionsbürger, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben, darf keine Ausweisung verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden.

Sachverhalt zu C-378/12

Nnamdi Onuekwere, ein nigerianischer Staatsangehöriger, erlangte durch seine Heirat mit einer irischen Staatsangehörigen, die ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt im Vereinigten Königreich ausübte, eine fünf Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis in diesem Mitgliedstaat. Während seines Aufenthalts im Vereinigten Königreich als Familienangehöriger eines Unionsbürgers wurde er von britischen Gerichten mehrfach wegen verschiedener Straftaten verurteilt und befand sich insgesamt drei Jahre und drei Monate in Strafhaft. In der Folge beantragte er eine Daueraufenthaltskarte. Er berief sich insbesondere darauf, dass seine Frau das Daueraufenthaltsrecht erworben habe und daher auch ihm dieses Recht gewährt werden müsse. Außerdem machte er geltend, dass die Gesamtdauer seiner Aufenthalts im Vereinigten Königreich (einschließlich der Zeiträume der Strafhaft) weit über die für die Gewährung des Daueraufenthaltsrechts erforderlichen fünf Jahre hinausgehe. Auch wenn seine Gefängnisaufenthalte nicht einbezogen würden, beliefen sich die Zeiträume, die er außerhalb des Gefängnisses verbracht habe, auf insgesamt mehr als fünf Jahre. Da sein Antrag auf eine Daueraufenthaltskarte abgelehnt wurde, erhob er Klage beim Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in London.

EuGH: Nur Zeiträume gemeinsamen Aufenthalts mit Unionsbürger einzubeziehen

Dieses Gericht hat den Gerichtshof gefragt, ob Zeiträume, in denen ein Antragsteller eine Freiheitsstrafe verbüßt, und davor und danach liegende Zeiträume von jeweils weniger als fünf Jahren für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltstitels berücksichtigt werden können. Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass ein Drittstaatsangehöriger, der Familienangehöriger eines Unionsbürger ist, der sein Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt ausgeübt hat, für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts nur die Zeiträume seines gemeinsamen Aufenthalts mit diesem Unionsbürger einbeziehen darf. Folglich könnten Zeiträume, in denen wegen seiner Strafhaft im Aufnahmemitgliedstaat kein gemeinsamer Aufenthalt mit dem Unionsbürger gegeben war, insoweit nicht berücksichtigt werden.

Verurteilung zu Freiheitsstrafe belegt mangelnde Integration

Weiter stellt der Gerichtshof fest, dass der Unionsgesetzgeber die Erlangung des Daueraufenthaltsrechts von der Integration des Betroffenen in den Aufnahmemitgliedstaat abhängig gemacht hat. Eine solche Integration beruhe nicht nur auf territorialen und zeitlichen Faktoren, sondern auch auf qualitativen Elementen im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat. In diesem Zusammenhang führt der Gerichtshof aus, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung durch ein nationales Gericht dazu angetan ist, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet. Die Berücksichtigung von Zeiträumen der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts würde daher dem von der Richtlinie mit der Einführung dieses Aufenthaltsrechts verfolgten Ziel eindeutig zuwiderlaufen.

Zeiträume vor und nach Strafhaft dürfen nicht zusammengerechnet werden

Schließlich stellt der Gerichtshof aus denselben Gründen fest, dass die Kontinuität des Aufenthalts von fünf Jahren durch Zeiträume unterbrochen wird, in denen im Aufnahmemitgliedstaat eine Freiheitsstraße verbüßt wird. Die vorangehenden und die folgenden Zeiträume könnten folglich nicht zusammengerechnet werden, um die Mindestdauer von fünf Jahren zu erreichen, die für die Erlangung eines ständigen Aufenthaltstitels erforderlich ist.

Verstärkter Schutz vor Ausweisung setzt zehnjährigen ununterbrochenen Aufenthalt voraus

In einem zweiten Verfahren (Az.: C-400/12) hat der Gerichtshof festgestellt, dass anders als der für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts erforderliche Zeitraum, der mit dem rechtmäßigen Aufenthalt des Betroffenen im Aufnahmemitgliedstaat beginnt, der für die Gewährung des verstärkten Schutzes vor Ausweisung erforderliche Aufenthalt von zehn Jahren vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung dieser Person an zurückzurechnen ist. Dieser Aufenthaltszeitraum muss grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein. Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen der Integration einer Person in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats und einer Strafhaft betont der EuGH, dass aus den gleichen Gründen, wie sie im Urteil C-378/12 genannt werden, Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Berechnung des Aufenthaltszeitraums von zehn Jahren nicht berücksichtigt werden können. Schließlich stellt der EuGH fest, dass Zeiträume der Strafhaft die Kontinuität des für die Gewährung des verstärkten Schutzes erforderlichen Aufenthalts grundsätzlich unterbrechen.

Umfassende Beurteilung der Situation des Auszuweisenden vorzunehmen

Der EuGH weist allerdings darauf hin, dass zur Klärung der Frage, inwieweit die Diskontinuität des Aufenthalts den Betroffenen daran hindert, in den Genuss des verstärkten Schutzes zu kommen, eine umfassende Beurteilung seiner Situation vorzunehmen sei. Bei dieser umfassenden Beurteilung, die geboten sei, um zu bestimmen, ob die Integrationsverbindungen zwischen dem Betroffenen und dem Aufnahmemitgliedstaat abgerissen sind, könnten die nationalen Behörden die relevanten Umstände der Freiheitsstrafe berücksichtigen.

Quelle: Beck-Online, beck-aktuell-Redaktion, Verlag C.H. Beck, 16. Januar 2014

http://beck-aktuell.beck.de/news/eugh-zeitr-ume-einer-strafhaft-werden-f-r-erwerb-eines-daueraufenthaltstitels-nicht-ber

post1Nach dem jetzt veröffentlichten Urteil vom 16.10.2014 sind Prozesskosten für Ehescheidung auch nach der 2013 geltenden Neuregelung des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG durch das Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen.

Das Urteil beruht auf einem Streitfall, dessen Klage bezüglich der Prozesskosten für die Ehescheidung stattgegeben wurde. Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde die Revision zum BFH zugelassen. Nach Angaben des Gerichts handelt es sich um die erste Entscheidung eines Familiengerichts zu dieser Fragestellung (Az.: 4 K 1976/14).

Hinsichtlich der Scheidungsfolgekosten wurde die Klage jedoch abgewiesen. Diese sind nach der Neuregelung ab 2013 nicht als außergewöhnliche Belastung von der Steuer absetzbar. Prozesskosten bezüglich Unterhalt, Ehewohnung und Haushalt, Güterrecht, Sorgerecht und Umgangsrecht sind nach der bisherigen BFH Rechtsprechung, die für das neue Familienrecht entsprechend gelte, nicht als zwangsläufig im Sinne des § 33EStG anzusehen. Die Begründung rührt daher, dass diese Folgesachen auch in einer außergerichtlichen Einigung verhandelt werden können und damit nicht zwingend – sondern nur auf Antrag eines Ehepartners – im Scheidungsverfahren entschieden werden müssen.

Mehr Informationen zu diesem Beschluss finden Sie hier: http://beck-aktuell.beck.de/news/fg-rheinland-pfalz-prozesskosten-f-r-ehescheidungen-nach-wie-vor-steuerlich-absetzbar