Bei niedrigem Betrugsschaden ist die Wiederholungsgefahr kein Haftgrund (LG Regensburg)
Das Landgericht Regensburg hat in seinem Urteil vom 16.10.2014 – 3 Ns 112 Js 5299/14 – entschieden, dass die Wiederholungsgefahr beim Betrug dann kein Haftgrund ist, wenn die Einzelschäden geringer als 560 Euro sind.
LG Regensburg: Wiederholungsgefahr bei niedrigen Betrugsschäden kein Haftgrund (16.10.2014 – 3 Ns 112 Js 5299/14)
Was war geschehen? Das Amtsgericht hatte den Angeklagten am 18.9.2014 wegen Betrugs in 10 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 3 Monaten verurteilt. Gleichzeitig hatte es den bis dahin bestehenden Haftbefehl aufgehoben und zur Begründung angeführt, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht vorliege, da eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung durch die einzelnen Anlasstaten nach § 263 StGB (also die einzelnen Betrugstaten) nicht eingetreten sei.
Die Staatsanwaltschaft hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt, welche sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. Zusätzlich wurde Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, den Haftbefehl erneut in Vollzug zu setzen. Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft aus, dass weiterhin Wiederholungsgefahr bestehe, weil der Angeklagte bei einer zuvor erfolgten Außervollzugsetzung bereits Straftaten begangen habe und dies erneut zu erwarten sei. Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab.
Landgericht: Keine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung
Die sachlich zuständige Berufungskammer des Landgerichts Regensburg lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft (als solcher war die Beschwerde zu werten) ab. Die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden Haftgrunds der Wiederholungsgefahr, auf den auch die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde stütze, waren nach Auffassung des Gerichts nicht gegeben. Zwar sei aufgrund des rechtskräftigen Schuldspruchs des Urteils des Amtsgerichts davon auszugehen, dass der Angeklagte wiederholt Straftaten nach § 263 StGB – also Betrugstaten -begangen habe, wobei ihm gewerbsmäßiges Handeln zur Last zu legen sei. Es fehle jedoch nach Ansicht der Berufungskammer an einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung aufgrund der wiederholt begangenen Anlasstaten, wie sie von § 112a I 1 Nr. 2 StPO vorausgesetzt werde. Erforderlich seien hierfür Anlasstaten, die einen überdurchschnittlichen Schweregrad und Unrechtsgehalt aufweisen, also mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen. Maßgebend bei der Bewertung seien – jedenfalls bei Anlasstaten nach § 263 StGB – insbesondere Art und Umfang des jeweils angerichteten Schadens. Gemessen daran war nach Auffassung der Berufungskammer der erforderliche Schweregrad bei den vom Angeklagten verursachten Schäden in der Größenordnung von 55 bis 560 EUR (bei weitem) nicht erreicht. Auf den vom Angeklagten verursachten Gesamtschaden von mindestens 2.000 EUR könne dabei nicht abgestellt werden, weil für den Haftgrund des § 112a I 1 Nr. 2 StPO bei einer wiederholten Begehung der Anlasstat der erforderliche Schweregrad grundsätzlich bei jeder einzelnen Tat vorliegen müsse.
Was sind Anlasstaten nach § 112a StPO?
Zur Erläuterung hier zunächst einmal der Gesetzestext:
§ 112a [Haftgrund der Wiederholungsgefahr]
(1) Ein Haftgrund besteht auch, wenn der Beschuldigte dringend verdächtig ist,
1. eine Straftat nach den §§ 174, 174a, 176 bis 179 oder nach § 238 Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches oder
2. wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat nach den §§ 89a, 89c Absatz 1 bis 4, nach § 125a, nach den §§ 224 bis 227, nach den §§ 243, 244, 249 bis 255, 260, nach § 263, nach den §§ 306 bis 306c oder § 316a des Strafgesetzbuches oder nach § 29 Abs. 1 Nr. 1, 4, 10 oder Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes begangen zu haben, und bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, daß er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde, die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich und in den Fällen der Nummer 2 eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist. In die Beurteilung des dringenden Verdachts einer Tatbegehung im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 sind auch solche Taten einzubeziehen, die Gegenstand anderer, auch rechtskräftig abgeschlossener, Verfahren sind oder waren.(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn die Voraussetzungen für den Erlaß eines Haftbefehls nach § 112 vorliegen und die Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1, 2 nicht gegeben sind.
Der § 112a Absatz 1 Nummer 2 setzt also voraus, dass der Beschuldigte weitere im Einzelfall erhebliche Straftaten begeht. Dies war nach Ansicht des Landgerichts hier nicht der Fall, da die einzelnen Taten die Schwelle zur Erheblichkeit nicht überschritten hatten.
Fazit
Eine andere Beurteilung rechtfertige sich in Anbetracht dessen auch nicht daraus, dass der Angeklagte zu den Tatzeiten unter Bewährung stand und gewerbsmäßig gehandelt habe. Bedenken bestünden auch gegen die Erforderlichkeit der Sicherungshaft, die fehle, wenn die vom Beschuldigten ausgehende Gefahr durch andere Maßnahmen abgewendet werden könne. Vorliegend sie ein anderes Urteil, mit dem der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt wurde, aufgrund des Beschlusses des OLG zwischenzeitlich rechtskräftig, sodass es durch den anstehenden Strafvollzug der Anordnung der Sicherungshaft nicht bedürfe.