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Bei einem Anlagebetrug im Rahmen eines Schneeballsystems gilt die gesamte Anlagesumme als Schaden. Dies entschied der BGH mit Beschluss vom 02.03.2016 – Aktenzeichen 1 StR 433/15 (Vorinstanz LG Nürnberg-Fürth).

Bei Anlagebetrug gilt gesamte Anlagesumme als Schaden

Der BGH verwarf mit diesem Beschluss die Revision der Angeklagten, welche sich gegen die Verurteilung durch das Landgericht Nürnberg-Fürth gewehrt hatten.

Der für die Bestimmung des Vermögensschadens aufgrund einer Gesamtsaldierung maßgebliche Zeitpunkt ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung durch den Geschädigten (näher BGH, Urteile vom 2. Februar 2016 – 1 StR 435/15 Rn. 20 und 1 StR 437/15 Rn. 33 mwN). Nach Auffassung des BGH auf Grundlage des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem Landgericht konnten die Rückzahlungsansprüche der Anleger im zu entscheidenden Fall bereits zu diesem Zeitpunkt, also als die Anlage (und damit die Vermögensverfügung) getätigt wurde, als wirtschaftlich wertlos angesehen werden, weil die Möglichkeit der Rückführung der vereinnahmten Gelder sowie ggf. der Auszahlung vertraglich versprochener Renditen ausschließlich von der zukünftigen Einnahme weiterer betrügerisch erlangter Gelder von Anlegern durch den Angeklagten abhing (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009 – 1 StR 731/08, Rn. 18). Dies ist der typische Fall im Rahmen sogenannter „Schneeballsysteme“. Die späteren Entwicklungen in Gestalt von Rückzahlungen an die Anleger berühren den tatbestandlichen Schaden nicht (BGH, Beschlüsse vom 23. Februar 2012 – 1 StR 586/11, Rn. 15 und vom 4. Februar 2014 – 3 StR 347/13).

(Teilweise) Rückzahlung ist unerheblich

Nach Ansicht des BGH, welche dieser in allen zuvor genannten Entscheidungen vertritt, ist es daher für die Berechnung des Schadens auch unerheblich, ob der Täter zwischenzeitlich den Anlegern des Schneeballsystems (anteilige) Beträge zurückerstattet hat. Das wirkt sich lediglich auf die Strafzumessung aus. Für die Berechnung des Schadens beim Anlagebetrug ist daher lediglich relevant, ob das Anlagesystem wie bei einem Schneeballsystem von Anfang an darauf ausgelegt war, das Geld der Anleger zweckwidrig zu verwenden. In diesem Fall ist der Schaden bereits in voller Höhe der Anlagesumme entstanden, wenn der Anleger die Anlagesumme an den Betreiber des Schneeballsystems verfügt hat.

 

Tim Wullbrandt || Strafrecht in Mannheim

Das Landgericht Regensburg hat in seinem Urteil vom 16.10.2014 – 3 Ns 112 Js 5299/14 – entschieden, dass die Wiederholungsgefahr beim Betrug dann kein Haftgrund ist, wenn die Einzelschäden geringer als 560 Euro sind.

LG Regensburg: Wiederholungsgefahr bei niedrigen Betrugsschäden kein Haftgrund (16.10.2014 – 3 Ns 112 Js 5299/14)

Was war geschehen? Das Amtsgericht hatte den Angeklagten am 18.9.2014 wegen Betrugs in 10 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr 3 Monaten verurteilt. Gleichzeitig hatte es den bis dahin bestehenden Haftbefehl aufgehoben und zur Begründung angeführt, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht vorliege, da eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung durch die einzelnen Anlasstaten nach § 263 StGB (also die einzelnen Betrugstaten) nicht eingetreten sei.

Die Staatsanwaltschaft hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt, welche sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. Zusätzlich wurde Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, den Haftbefehl erneut in Vollzug zu setzen. Zur Begründung führte die Staatsanwaltschaft aus, dass weiterhin Wiederholungsgefahr bestehe, weil der Angeklagte bei einer zuvor erfolgten Außervollzugsetzung bereits Straftaten begangen habe und dies erneut zu erwarten sei. Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab.

Landgericht: Keine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung

Die sachlich zuständige Berufungskammer des Landgerichts Regensburg lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft (als solcher war die Beschwerde zu werten) ab. Die Voraussetzungen des hier allein in Betracht kommenden Haftgrunds der Wiederholungsgefahr, auf den auch die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde stütze, waren nach Auffassung des Gerichts nicht gegeben. Zwar sei aufgrund des rechtskräftigen Schuldspruchs des Urteils des Amtsgerichts davon auszugehen, dass der Angeklagte wiederholt Straftaten nach § 263 StGB – also Betrugstaten -begangen habe, wobei ihm gewerbsmäßiges Handeln zur Last zu legen sei. Es fehle jedoch nach Ansicht der Berufungskammer an einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechtsordnung aufgrund der wiederholt begangenen Anlasstaten, wie sie von § 112a I 1 Nr. 2 StPO vorausgesetzt werde. Erforderlich seien hierfür Anlasstaten, die einen überdurchschnittlichen Schweregrad und Unrechtsgehalt aufweisen, also mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen. Maßgebend bei der Bewertung seien – jedenfalls bei Anlasstaten nach § 263 StGB – insbesondere Art und Umfang des jeweils angerichteten Schadens. Gemessen daran war nach Auffassung der Berufungskammer der erforderliche Schweregrad bei den vom Angeklagten verursachten Schäden in der Größenordnung von 55 bis 560 EUR (bei weitem) nicht erreicht. Auf den vom Angeklagten  verursachten Gesamtschaden von mindestens 2.000 EUR könne dabei nicht abgestellt werden, weil für den Haftgrund des § 112a I 1 Nr. 2 StPO bei einer wiederholten Begehung der Anlasstat der erforderliche Schweregrad grundsätzlich bei jeder einzelnen Tat vorliegen müsse.

Was sind Anlasstaten nach § 112a StPO?

Zur Erläuterung hier zunächst einmal der Gesetzestext:

§ 112a [Haftgrund der Wiederholungsgefahr]

(1) Ein Haftgrund besteht auch, wenn der Beschuldigte dringend verdächtig ist,

1. eine Straftat nach den §§ 174, 174a, 176 bis 179 oder nach § 238 Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches oder
2. wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat nach den §§ 89a, 89c Absatz 1 bis 4, nach § 125a, nach den §§ 224 bis 227, nach den §§ 243, 244, 249 bis 255, 260, nach § 263, nach den §§ 306 bis 306c oder § 316a des Strafgesetzbuches oder nach § 29 Abs. 1 Nr. 1, 4, 10 oder Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes begangen zu haben, und bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, daß er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde, die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich und in den Fällen der Nummer 2 eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist. In die Beurteilung des dringenden Verdachts einer Tatbegehung im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 sind auch solche Taten einzubeziehen, die Gegenstand anderer, auch rechtskräftig abgeschlossener, Verfahren sind oder waren.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn die Voraussetzungen für den Erlaß eines Haftbefehls nach § 112 vorliegen und die Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1, 2 nicht gegeben sind.

Der § 112a Absatz 1 Nummer 2 setzt also voraus, dass der Beschuldigte weitere im Einzelfall erhebliche Straftaten begeht. Dies war nach Ansicht des Landgerichts hier nicht der Fall, da die einzelnen Taten die Schwelle zur Erheblichkeit nicht überschritten hatten.

Fazit

Eine andere Beurteilung rechtfertige sich in Anbetracht dessen auch nicht daraus, dass der Angeklagte zu den Tatzeiten unter Bewährung stand und gewerbsmäßig gehandelt habe. Bedenken bestünden auch gegen die Erforderlichkeit der Sicherungshaft, die fehle, wenn die vom Beschuldigten ausgehende Gefahr durch andere Maßnahmen abgewendet werden könne. Vorliegend sie ein anderes Urteil, mit dem der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt wurde, aufgrund des Beschlusses des OLG zwischenzeitlich rechtskräftig, sodass es durch den anstehenden Strafvollzug der Anordnung der Sicherungshaft nicht bedürfe.


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