Tim Wullbrandt || Strafrecht in Mannheim

Das Oberlandesgericht München hat (im Rahmen des NSU-Verfahrens, wo sonst?) einmal wieder beschlossen – und wie so oft bleibt nichts als Kopfschütteln! Das Thema wie so oft in der jüngeren Vergangenheit bereits: Die Pflichtverteidigervergütung.

Terminsgebühr bei geplatztem Termin

Das neueste Zauberstück des OLG: Der Beschluss vom 06.08.2014 – 6 St (K) 22/14 (Hier im Volltext bei Burhoff online zu lesen).Das Oberlandesgericht befasst sich darin mit der Frage, wann es berechtigt ist, eine beantragte Terminsgebühr des Pflichtverteidigers abzusetzen, wenn dieser wegen Terminen in der selben Sache bereits einen Tag vor sowie nach dem abgesetzten Hauptverhandlungstag zu weiteren Hauptverhanldungsterminen in München (Anreise aus Köln!) anwesend ist und der dazwischenliegende Hauptverhandlungstermin kurzfristig abgesetzt wird.

Zur Verdeutlichung: Es waren Hauptverhandlungstermine angesetzt für den 26., 27. und 28.05. Am 26.05. wurde der Termin für den 27.05. abgesetzt, die Verteidiger wurden abgeladen. Der für die Termine eigens aus Köln angereiste Pflichtverteidiger beantragte für den 27.05. eine Terminsgebühr. Diese wurde ihm (wie sollte es in München auch anders sein) vom Gericht auch auf die Erinnerung des Verteidigers hin verwehrt.

Gebühr setzt Anwesenheit voraus

Das OLG stellt zunächst noch einmal fest: Die Terminsgebühr gibt es nur dann, wenn man körperlich da war!

Es zementiert seine Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechende Auffassung, dass das Entstehen der Terminsgebühr von der Teilnahme an bzw. dem Erscheinen zu einem anberaumten Termin abhängig ist. Zu einem Termin erscheine ein Rechtsanwalt aber (nur), wenn er im Gerichtsgebäude mit dem Ziel der Teilnahme an dem Gerichtstermin körperlich anwesend ist (OLG München RVGreport 2008, 109 = NStZ-RR 2008, 159 = RVGprofessionell 2008, 104 = AGS 2008, 233 = StRR 2008, 199 = NJW 2008, 1607 =JurBüro 2008, 418 m. abl. Anm. Kotz; Beschl. v. 14.o3.2014 – 6 St (K) 5/14; Beschl. v. 19. 7. 2013, 6 St (K) 15/13).

berichtet der Kollege Detlef Burhoff, der sich mit der Entscheidung näher kritisch in seinem Blog auseinandersetzt.

Rechtzeitige Abladung?

Noch weiter und interessanter führt das Gericht jedoch dazu aus, wann die Abladung des Termins so rechtzeitig geschehen ist, dass der Verteidiger davon Kenntnis erlangen musste – und deswegen per se keine Terminsgebühr auch bei Erscheinen verlangen kann.Das OLG führt dazu aus,

Der Hauptverhandlungstermin vom 27.5.2014 wurde durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 26.5.2014 abgesetzt; die Prozessbeteiligten wurden am 26.7.2014 zwischen 13:21 Uhr und 15:42 Uhr per Telefax abgeladen. Rechtsanwalt H. steht auf dem Sendeprotokoll an zweiter Stelle; der Sendevermerk trägt den Kommentar „ok“. Es obliegt dem Antragsteller sicherzustellen, dass er von eingehenden Telefaxschreiben zeitnah Kenntnis nehmen kann.

Fazit: Die bladung ist also auch dann rechtzeitig, wenn sie bei bekannter Ortsabewsenheit des Verteidigers per Fax zu üblichen Geschäftszeiten am Vortrag des Termins in dessen Kanzlei eingeht. Wie er hiervon Kenntnis erlangt (Anruf des Sekretariats, Faxempfang per Mail oder ähnliches) liegt in seinem Verantwortungsbereich.

Was kostet die Welt?

Das das OLG sich bei seiner Entscheidung auch unter gar keinen Umständen um eventuelle wirtschaftliche Gesichtspunkte zu Gunsten der Staatskasse kümmert, macht es in aller Deutlichkeit mit seiner abschließenden Ausführung zu eventuell anfallenden – im Vergleich zur beantragten Terminsgebühr weit höheren – Reisekosten deutlich:

Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass er zur Vermeidung deutlich höherer Reisekosten am 27.5.2014 in München geblieben und nicht nach Köln zurückgereist ist, vermag dieser Gesichtspunkt eine Terminsgebühr für den 27.5.2014 nicht zu begründen. Der Vergütungsanspruch nach dem RVG muss sich an den tat-sächlichen Gegebenheiten orientieren, hypothetische Geschehensabläufe dürfen für die Frage des Vergütungsanspruchs keine Rolle spielen (OLG München NStZ-RR 2008, 159).

Punkt.

Tim Wullbrandt || Strafrecht in Mannheim

VG Neustadt: Unwissentliche Einnahme von Amphetaminen vor Autofahrt muss glaubhaft gemacht werden zu VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschluss vom 02.12.2014 – 3 L 994/14.NW..

Der Landkreis Germersheim hat einem Autofahrer den Führerschein entzogen, nachdem dieser bei einem Diskobesuch Amphetamine konsumiert hatte. So entschied das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße mit Beschluss vom 02.12.2014 in einem Eilverfahren.

Der Fahrer hatte behauptet, die Amphetamine unwissentlich konsumiert zu haben. Das Gericht wertete das jedoch als als bloße Schutzbehauptung (Az.: 3 L 994/14.NW.).

Diskobesucher verliert Führerschein wegen Konsum von Drogen

Was war geschehen? Der Fahrer war nach einem Diskothekenbesuch in eine Verkehrskontrolle geraten. Dabei ergab sich der Verdacht, dass er Drogen konsumiert hatte (Lidflattern, Zittern der Fingerkuppen). Eine dem Fahrer entnommene Blutprobe belegte die Einnahme von Amphetaminen. Die Fahrerlaubnisbehörde (Landkreis Germersheim) entzog ihm daraufhin wegen mangelnder Fahreignung den Führerschein und ordnete die sofortige Vollziehung an. Der Fahrer legte dagegen Widerspruch ein und beantragte vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht. Er trug vor, das Amphetamin unwissentlich konsumiert zu haben. Die Amphetaminspuren in seinem Blut stammten von einem Diskothekenbesuch, bei dem ihm jemand das Mittel in sein Getränk geschüttet haben müsse, ohne dass er es bemerkt habe.

Verwaltungsgericht: Unbewusster Konsum von Drogen muss glaubhaft gemacht werden

Das Gericht hat den Eilantrag abgelehnt. Die Entziehung des Führerscheins sei offensichtlich rechtmäßig. Bereits ein einmaliger Konsum von Amphetaminen führe in der Regel zum Ausschluss der Fahreignung. Grundsätzlich sind die Voraussetzungen für die Annahme der Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeuges erfüllt, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis – objektiv – Drogen zu sich nehme. Auf ein vorsätzliches oder schuldhaftes Verhalten komme es für die Feststellung des Regeltatbestandes, der hier gegeben sei, nicht an. Ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt liege nicht vor. Die Glaubhaftmachung eines unbewussten, zufälligen oder durch Dritte manipulierten Konsums harter Drogen setze detaillierte, in sich schlüssige Darlegungen voraus, die einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen ließen. Diesen Anforderungen genüge das Vorbringen des Antragstellers nicht. Allein die Vermutung, die Droge könnte ihm von einer anderen Person verabreicht worden sein, rechtfertige noch nicht die Annahme, der Antragsteller habe das in seinem Blut festgestellte Amphetamin unwissentlich aufgenommen.

Vorbringen des Antragstellers als bloße Schutzbehauptung zu werten

Der Antragsteller hatte zunächst gegenüber dem Verwaltungsgericht argumentiert, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen ihn mangels Tatverdachts eingestellt worden sei. Die Drogen in seinem Blut stammten von einem Diskothekenbesuch, bei dem ihm jemand etwas (> Amphetamin) in sein Getränk geschüttet haben müsse, ohne dass er es bemerkt hat. Er habe in der Vergangenheit bis Juni 2013 einige Male Drogen genommen. Da er sich dabei zuletzt sehr schlecht gefühlt habe, habe er beschlossen, dies nie wieder zu tun. Am Abend des 7. Juni 2014 habe er in einer Diskothek Jacky Cola getrunken. Auf einmal habe er die Wirkung von „Speed“ gespürt. Sofort habe er versucht zu klären, wie es dazu gekommen sei. Seine Kumpels hätten ihn nur ausgelacht und gesagt, er solle halt besser auf sein Glas aufpassen. Er sei dann nach Hause gegangen und habe sich übers Wochenende ausgeruht. Erst am Montagabend habe er sich ans Steuer gesetzt. Seither kaufe er in Diskotheken nur die geschlossenen Getränke, die er vor seinen Augen öffnen lasse oder selbst öffne. In Bezug auf die Einnahme des Amphetamins habe er nicht schuldhaft gehandelt.

Das Gericht ist dem nicht gefolgt und wertete das Vorbringen als Schutzbehauptung. Dies gelte insbesondere bei einer Würdigung seines Vorbringens unter Einbeziehung seines Aussageverhaltens nach dem im Rahmen der Verkehrskontrolle durchgeführten Urintest, der positiv auf Amphetamin ausgefallen sei, und seiner in dem ärztlichen Befundbericht festgehaltenen Angaben anlässlich der Blutentnahme nach der Verkehrskontrolle. Weder habe der Fahrer den Polizeibeamten den nunmehr behaupteten Sachverhalt unterbreitet noch habe er gegenüber dem die Blutprobe abnehmenden Arzt trotz Nachfrage nach Medikamenten- und Drogeneinnahme entsprechende Angaben gemacht. Insgesamt sei der vom Antragsteller jetzt erst behauptete Geschehensablauf zur Überzeugung der Kammer als Schutzbehauptung einzustufen.

Fazit

Wer in die Situation gerät, dass er – sei es im Rahmen einer Verkehrskontrolle – plötzlich feststellt, dass er unter Drogen steht, der muss sich zur Rettung des Führerscheins SOFORT überrascht zeigen und Polizei und Ärzten mitteilen, dass er vermutet, dass ihm jemand Drogen eingeflößt hat. Nur so wahrt man seine Chancen im Verwaltungsverfahren um den Entzug des Führerscheins!

Tim Wullbrandt || Strafrecht in Mannheim

Wer erheblich und im schlimmsten Fall einschlägig vorbestraft ist, der muss bei einem weiteren Diebstahl auch dann, wenn er nur Dinge geringsten Wertes gestohlen hat, mit Haft bzw. Freiheitsstrafe rechnen! So zumindest hat es jetzt das OLG Hamm mit Urteil vom 21.10.2014 – 1 RVs 82/14 – entschieden.

Haft für Wodkaflasche

Was war passiert? Der Angeklagte stahl in einem Supermarkt eine Flasche Wodka zum Preis von 4,99 Euro) (!). Er ist alkoholkrank, wegen Diebstahls mehrfach vorbestraft und war zuvor bereits längere Zeit in Haft. Er wurde erwischt, die entwendete Flasche Wodka gelangte zurück in den Besitz des Supermarktes. Im Strafverfahren legte der Angeklagte ein Geständnis ab. Das Amtsgericht Siegen verhängte gegen den Angeklagten eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 10 Euro. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft sprach das Landgericht Siegen in zweiter Instanz eine Freiheitsstrafe von drei Monaten aus – ohne Bewährung. Der Angeklagte legte Revision ein.

Oberlandesgericht: Kurze Freiheitsstrafe trotz winzigem Schaden wegen erheblicher Vorstrafen angemessen

Die Revision hatte nur teilweise Erfolg. Das Oberlandesgericht entschied, dass auch zur Ahndung von Bagatellstraftaten kurzzeitige Freiheitsstrafen verhängt werden können.Vorliegend habe sich eine solche Bestrafung wegen der zahlreichen, überwiegend einschlägigen Vorstrafen und wegen dem Umstand, dass er sich weder durch zuvor verhängte Geldstrafen noch durch Bewährungsstrafen und die Vollstreckung kurzzeitiger Freiheitsstrafen von der Begehung der neuerlichen Tat habe halten lassen, nahezu aufgedrängt. Das Oberlandesgericht sah auch keinen Verstoß gegen das Gebot schuldangemessener Strafen bei Verhängung der kurzen Haftstrafe.

Darf es doch ein bisschen weniger sein?

Allerdings war die vom Landgericht in der Berufungsinstanz verhängte dreimonatige Freiheitsstrafe auf einen Monat und eine Woche zu reduzieren. Das Oberlandesgericht war der Auffassung, das Landgericht Siegen habe strafmildernde Umstände nicht ausreichend berücksichtigt. Der Angeklagte habe ein Geständnis abgelegt, der Schaden liege im untersten Bereich der Geringwertigkeit und die gestohlene Sache sei im Endeffekt beim Geschädigte verblieben. Ausserdem sei der Angeklagte alkoholkrank und habe die Tat im erheblich alkoholisierten, seine Schuldfähigkeit vermindernden Zustand begangen.

Strafrecht Entscheidungen und Urteile

Mit einem Paukenschlag ging heute morgen das Verfahren vor dem Landgericht Essen gegen den früheren Arcandor-Manager Thomas Middelhoff zu Ende: Das Landgericht Essen verurteilte den ehemaligen Top-Manager des Arcandor-Konzerns zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren wegen Untreue in 27 Fällen und Steuerhinterziehung. 

Sofortige Verhaftung im Gerichtssaal angeordnet

Und nicht nur das – die Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Essen unter Vorsitz von Richter Jörg Schmitt ordnete die sofortige Verhaftung von Middelhoff noch im Gerichtssaal an. Währen in „normalen“ Wirtschaftsstrafprozessen dem Verurteilten nach dem Ende der Verhandlung noch knapp 4 bis 6 Wochen Zeit zum Antritt der Haftstrafe verbleiben, wurde Middelhoff aufgrund des Haftbefehls sofort vom Gerichtssaal in die JVA gefahren. Zur Begründung führte das Gericht aus, aufgrund der unklaren beruflichen Situation von Middelhoff, dessen Wohnsitz im Ausland und der Höhe der Strafe bestehe akute Fluchtgefahr.

Vergleichsweise harte Strafe gegen Thomas Middelhoff

Zwar ist das Urteil gegen Thomas Middelhoff noch nicht rechtskräftig. Voraussichtlich werden seine Verteidiger Revision zum Bundesgerichtshof einlegen. Der Schuldspruch und insbesondere die sofortige Verhaftung stellen jedoch einen harten Schuldspruch dar. Das dürfte die Verteidigung so wohl nicht erwartet und vorausgesehen haben.

Selbst verschuldete Entscheidung?

Wie es zu einem solch harten Schuldspruch kam lässt sich womöglich auch an einem direkten Vergleich mit einem weiteren sehr populären Verfahren festmachen, welches in diesem Jahr zu Ende ging. Während der einstige Manager und Vorstand des FC Bayern München, Uli Hoeneß, im Frühjahr vom Landgericht München  in 7 Fällen der Steuerhinterziehung mit einem gesamten Schaden in Höhe von etwa 40 Millionen Euro schuldige gesprochen wurde und hierfür „lediglich“ eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten antreten musste, fällt die von Thomas Middelhoff veruntreute Summe mit festgestellten 500.000 EUR doch eher gering aus. Weshalb also die nahezu gleiche Strafe? Nun, zum einen ist hier mit Sicherheit zu berücksichtigen, dass Hoeneß – wenn auch verspätet – zum einen eine Selbstanzeige erstattet hatte, zum anderen jedoch auch dem Grunde nach seine Schuld eingestand und die ausstehenden Steuerschulden an den Fiskus zurückgezaht hatte. Vielleicht hängt das unterschiedliche Strafmaß aber auch zu einem großen Stück am unterschiedlichen Verhalten der beiden Angeklagten und deren Verteidigern ab.

Wo Uli Hoeneß, gut beraten von seinem Verteidiger Hans W. Feigen sich im Verfahren kooperativ im mindesten zeigte, war sich Middelhoff – wenn man den Medien glauben mag – bis zuletzt um keinen Moment der Selbstdarstellung und Leugnung seines Fehlverhaltens zu schade. Ob dieses Verhalten richtig und der Sache dienlich war, darüber kann Middelhoff jetzt lange Zeit und ganz in Ruhe nachdenken, denn:Seine Zeit optimiert jetzt die Vollzugsleitung.

Strafrecht Entscheidungen und Urteile

Beck-Online zu EuGH, Urteil vom 16.01.2014 – C-378/12; C-400/12.

Zeiträume der Strafhaft können weder für den Erwerb eines Daueraufenthaltstitels noch für die Gewährung eines verstärkten Schutzes vor Ausweisung berücksichtigt werden. Die Kontinuität der für die Gewährung dieser Vorteile erforderlichen Zeiträume werde grundsätzlich durch Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe unterbrochen, stellt der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteilen vom 16.01.2014 klar (Az.: C-378/12 und C-400/12).

Recht auf Daueraufenthalt nach fünf Jahren erwerbbar

Unionsbürger, die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben, haben das Recht, sich dort auf Dauer aufzuhalten. Dieses Recht ist nicht an die Voraussetzungen für das Recht geknüpft, sich im Aufnahmemitgliedstaat länger als drei Monate aufzuhalten (Richtlinie 2004/38/EG, Ausübung einer Berufstätigkeit, Studium et cetera). Die Familienangehörigen dieser Unionsbürger, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die sich rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen mit ihnen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben, erwerben ebenfalls das Recht auf Daueraufenthalt. Der Aufnahmemitgliedstaat darf dann eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen. Gegen Unionsbürger, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben, darf keine Ausweisung verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden.

Sachverhalt zu C-378/12

Nnamdi Onuekwere, ein nigerianischer Staatsangehöriger, erlangte durch seine Heirat mit einer irischen Staatsangehörigen, die ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt im Vereinigten Königreich ausübte, eine fünf Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis in diesem Mitgliedstaat. Während seines Aufenthalts im Vereinigten Königreich als Familienangehöriger eines Unionsbürgers wurde er von britischen Gerichten mehrfach wegen verschiedener Straftaten verurteilt und befand sich insgesamt drei Jahre und drei Monate in Strafhaft. In der Folge beantragte er eine Daueraufenthaltskarte. Er berief sich insbesondere darauf, dass seine Frau das Daueraufenthaltsrecht erworben habe und daher auch ihm dieses Recht gewährt werden müsse. Außerdem machte er geltend, dass die Gesamtdauer seiner Aufenthalts im Vereinigten Königreich (einschließlich der Zeiträume der Strafhaft) weit über die für die Gewährung des Daueraufenthaltsrechts erforderlichen fünf Jahre hinausgehe. Auch wenn seine Gefängnisaufenthalte nicht einbezogen würden, beliefen sich die Zeiträume, die er außerhalb des Gefängnisses verbracht habe, auf insgesamt mehr als fünf Jahre. Da sein Antrag auf eine Daueraufenthaltskarte abgelehnt wurde, erhob er Klage beim Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) in London.

EuGH: Nur Zeiträume gemeinsamen Aufenthalts mit Unionsbürger einzubeziehen

Dieses Gericht hat den Gerichtshof gefragt, ob Zeiträume, in denen ein Antragsteller eine Freiheitsstrafe verbüßt, und davor und danach liegende Zeiträume von jeweils weniger als fünf Jahren für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltstitels berücksichtigt werden können. Der EuGH weist zunächst darauf hin, dass ein Drittstaatsangehöriger, der Familienangehöriger eines Unionsbürger ist, der sein Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt ausgeübt hat, für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts nur die Zeiträume seines gemeinsamen Aufenthalts mit diesem Unionsbürger einbeziehen darf. Folglich könnten Zeiträume, in denen wegen seiner Strafhaft im Aufnahmemitgliedstaat kein gemeinsamer Aufenthalt mit dem Unionsbürger gegeben war, insoweit nicht berücksichtigt werden.

Verurteilung zu Freiheitsstrafe belegt mangelnde Integration

Weiter stellt der Gerichtshof fest, dass der Unionsgesetzgeber die Erlangung des Daueraufenthaltsrechts von der Integration des Betroffenen in den Aufnahmemitgliedstaat abhängig gemacht hat. Eine solche Integration beruhe nicht nur auf territorialen und zeitlichen Faktoren, sondern auch auf qualitativen Elementen im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat. In diesem Zusammenhang führt der Gerichtshof aus, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung durch ein nationales Gericht dazu angetan ist, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet. Die Berücksichtigung von Zeiträumen der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts würde daher dem von der Richtlinie mit der Einführung dieses Aufenthaltsrechts verfolgten Ziel eindeutig zuwiderlaufen.

Zeiträume vor und nach Strafhaft dürfen nicht zusammengerechnet werden

Schließlich stellt der Gerichtshof aus denselben Gründen fest, dass die Kontinuität des Aufenthalts von fünf Jahren durch Zeiträume unterbrochen wird, in denen im Aufnahmemitgliedstaat eine Freiheitsstraße verbüßt wird. Die vorangehenden und die folgenden Zeiträume könnten folglich nicht zusammengerechnet werden, um die Mindestdauer von fünf Jahren zu erreichen, die für die Erlangung eines ständigen Aufenthaltstitels erforderlich ist.

Verstärkter Schutz vor Ausweisung setzt zehnjährigen ununterbrochenen Aufenthalt voraus

In einem zweiten Verfahren (Az.: C-400/12) hat der Gerichtshof festgestellt, dass anders als der für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts erforderliche Zeitraum, der mit dem rechtmäßigen Aufenthalt des Betroffenen im Aufnahmemitgliedstaat beginnt, der für die Gewährung des verstärkten Schutzes vor Ausweisung erforderliche Aufenthalt von zehn Jahren vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung dieser Person an zurückzurechnen ist. Dieser Aufenthaltszeitraum muss grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein. Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen der Integration einer Person in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats und einer Strafhaft betont der EuGH, dass aus den gleichen Gründen, wie sie im Urteil C-378/12 genannt werden, Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Berechnung des Aufenthaltszeitraums von zehn Jahren nicht berücksichtigt werden können. Schließlich stellt der EuGH fest, dass Zeiträume der Strafhaft die Kontinuität des für die Gewährung des verstärkten Schutzes erforderlichen Aufenthalts grundsätzlich unterbrechen.

Umfassende Beurteilung der Situation des Auszuweisenden vorzunehmen

Der EuGH weist allerdings darauf hin, dass zur Klärung der Frage, inwieweit die Diskontinuität des Aufenthalts den Betroffenen daran hindert, in den Genuss des verstärkten Schutzes zu kommen, eine umfassende Beurteilung seiner Situation vorzunehmen sei. Bei dieser umfassenden Beurteilung, die geboten sei, um zu bestimmen, ob die Integrationsverbindungen zwischen dem Betroffenen und dem Aufnahmemitgliedstaat abgerissen sind, könnten die nationalen Behörden die relevanten Umstände der Freiheitsstrafe berücksichtigen.

Quelle: Beck-Online, beck-aktuell-Redaktion, Verlag C.H. Beck, 16. Januar 2014

http://beck-aktuell.beck.de/news/eugh-zeitr-ume-einer-strafhaft-werden-f-r-erwerb-eines-daueraufenthaltstitels-nicht-ber

Urteile und Entscheidungen im Strafrecht

zu FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.12.2013 – 3 K 1632/12.

Der Geschäftsführer einer GmbH haftet nach dem Prinzip der Gesamtverantwortung grundsätzlich für nicht an das Finanzamt abgeführte Lohnsteuer. Etwas anderes kann nur gelten, wenn eine entsprechende schriftlich fixierte Geschäftsverteilung mit einem weiteren Geschäftsführer vorliegt. Dies hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 10.12.2013 entschieden (Az.: 3 K 1632/12).

Sachverhalt

Der Kläger und Herr H. waren Geschäftsführer einer GmbH. Im Jahr 2010 wurde für die beschäftigten Arbeitnehmer für mehrere Monate keine Lohnsteuer an das Finanzamt abgeführt. Das Finanzamt nahm nach erfolglosen Vollstreckungsmaßnahmen in das Vermögen der Arbeitgeberin sowohl den Kläger als auch den Mitgeschäftsführer – wenn auch in geringerem Umfang – per Haftungsbescheid in Anspruch. Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein und machte geltend, dass nach der internen Zuständigkeitsvereinbarung nur der Mitgeschäftsführer für die Erledigung steuerlicher Aufgaben und somit für die Abführung der Lohnsteuer zuständig gewesen sei. Er – der Kläger – sei auch seiner Überwachungspflicht nachgekommen, indem er sich in regelmäßigen Abständen darüber informiert habe, dass die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft erfüllt würden. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Kläger Klage.

FG: Geschäftsführer steht in der Gesamtverantwortung

Das Finanzgericht hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Der Haftungsbescheid sei rechtmäßig, weil die Inanspruchnahme des Klägers nicht zu beanstanden sei. Der Kläger sei Geschäftsführer und hafte daher als gesetzlicher Vertreter. Er könne sich auch nicht auf die geltend gemachte interne Aufgabenverteilung zwischen ihm und dem Mitgeschäftsführer berufen. Grundsätzlich gelte das Prinzip der Gesamtverantwortung eines jeden gesetzlichen Vertreters. Dieses Prinzip verlange zumindest eine gewisse Überwachung der Geschäftsführung im Ganzen. Durch eine entsprechende Geschäftsverteilung könne zwar die Verantwortlichkeit eines Geschäftsführers begrenzt werden. Dies erfordere allerdings eine im Vorhinein getroffene, eindeutige – und deshalb schriftliche – Klarstellung, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig sei.

Keine schriftliche Aufgabenverteilung

Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass im Haftungsfall jeder Geschäftsführer auf die Verantwortlichkeit eines anderen verweise. Aber selbst bei Vorliegen einer klaren, eindeutigen und schriftlichen Aufgabenverteilung müsse der nicht mit den steuerlichen Angelegenheiten einer Gesellschaft betraute Geschäftsführer einschreiten, wenn die Person des Mitgeschäftsführers oder die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft dies erfordern, beispielsweise in finanziellen Krisensituationen. Zudem müsse er dafür sorgen, dass er im Fall des Eintritts einer solchen Krise rechtzeitig davon erfahre. Im Streitfall fehle es bereits an einer schriftlichen Aufgabenverteilung zwischen dem Kläger und dem weiteren Geschäftsführer. Schon aus diesem Grund sei die geltend gemachte Geschäftsverteilung haftungsrechtlich ohne Bedeutung.

Gesteigerte Überwachungspflicht in der Krise

Ungeachtet dessen habe der Kläger eine gesteigerte Überwachungspflicht gehabt, weil er gewusst habe, dass sich die Gesellschaft in einer finanziellen Schieflage befunden habe. In Anbetracht dieser Situation wäre selbst im Fall einer schriftlichen Aufgabenverteilung die Gesamtverantwortung des Klägers wieder aufgelebt. Der Kläger könne sich auch nicht damit entschuldigen, dass eine Steuerberaterin eingebunden gewesen sei und dass er sich in regelmäßigen Abständen darüber informiert habe, dass die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft erfüllt werden. Sein schuldhaftes Verhalten liege darin, dass er nicht darauf hingewirkt habe, dass die Löhne nur gekürzt ausgezahlt worden seien. Dann hätte nämlich die – auf die gekürzten Löhne entfallende – Lohnsteuer aus dem verbleibenden Geld ordnungsgemäß einbehalten und an das Finanzamt abgeführt werden können.

Diesen Artikel haben wir gefunden bei Beck-Online / beck-aktuell-Redaktion, Verlag C.H. Beck, 24. Februar 2014.

Strafrecht Urteile und Entscheidungen

Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.04.13   V R 29/10

Wer sich als Unternehmer gegen den Verdacht zur Wehr setzt, im Zusammenhang mit seiner unternehmerischen Tätigkeit eine Straftat begangen zu haben, kann die an seinen Strafverteidiger entrichtete Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehen. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 11. April 2013 (V R 29/10) entschieden.

Der Kläger, ein Bauunternehmer, hatte mutmaßlich eine Zuwendung an einen Entscheidungsträger eines potentiellen Auftraggebers geleistet, um einen Bauauftrag zu erlangen. Gegen ihn und einen seiner Angestellten wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Kläger und sein Angestellter ließen sich durch Strafverteidiger vertreten. Das Bauunternehmen machte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen beider Strafverteidiger geltend. Das Finanzamt versagte den Vorsteuerabzug. Das Finanzgericht gab der Klage statt.

Der BFH hat nun die Auffassung des Finanzamts bestätigt. Abziehen kann der Unternehmer die Steuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer „für sein Unternehmen“ ausgeführt worden sind. Streitig war, ob die Strafverteidiger Leistungen für das Unternehmen oder für die Privatpersonen erbracht hatten. Deswegen hatte der BFH in derselben Sache zuvor bei dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) angefragt, ob es für den Vorsteuerabzug auf den maßgeblichen Entstehungsgrund der Aufwendungen ankomme, dass nämlich die mutmaßliche Straftat im Interesse des Unternehmens begangen wurde oder ob das unmittelbare Ziel der erbrachten Leistung, eine Bestrafung zu verhindern, entscheidend sei (BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2011 V R 29/10 (BFHE 236, 242, BStBl II 2012, 441).

Letzteres ist nach dem in diesem Streitfall ergangenen EuGH-Urteil vom 21. Februar 2013 C-104/12 zutreffend. Leistungen, deren Zweck darin besteht, strafrechtliche Sanktionen gegen natürliche Personen zu verhindern, die Geschäftsführer eines steuerpflichtigen Unternehmens sind, eröffnen danach kein Recht auf Vorsteuerabzug. Dem hat sich der BFH in dem jetzt veröffentlichten Urteil angeschlossen.

Die Vorlage an den EuGH beruhte auf der europarechtlichen Harmonisierung des Umsatzsteuerrechts und der sich hieraus ergebenden Verpflichtung zur sog. richtlinienkonformen Auslegung.

Hinweis: Die Entscheidung hat nur für die Umsatzsteuer Bedeutung. Die ertragssteuerrechtliche Frage, ob Aufwendungen für eine Strafverteidigung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abzugsfähig sein können, wird davon nicht berührt.

Quelle: Bundesfinanzhof

Den Volltext der Entscheidung finden Sie HIER.

Ihr

Tim Wullbrandt

Rechtsanwalt

WULLBRANDT Rechtsanwälte
Wörrstadt | Mannheim
www.wullbrandt-rechtsanwaelte.de