Durchsuchung von Redaktionsräumen um Informanten zu enttarnen ist unzulässig (Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 13.07.2015)
Bundesverfassungsgericht: Durchsuchungen bei Presse unzulässig, wenn gegen Informanten ermittelt wird
In seinem Beschluss vom 13.07.2015, Aktenzeichen 1 BvR 1089/13 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Durchsuchungen in Redaktionsräumen dann nicht verfassungsrechtlich zulässig sind, wenn sie alleine dazu dienen, Straftaten eines Informanten der Presse aufzudecken.
Der Sachverhalt
Was war geschehen? Die Verfassungsbeschwerde wurde von einem Journalisten und einem Verlagshaus geführt. Das Verlagshaus gibt unter anderem die Berliner Morgenpost (MoPo) heraus, der Journalist ist für die MoPo tätig. Der Journalist reiste im Frühjahr 2011 nach Amsterdam, um über das Verschwinden zweier Kinder in den 1990er Jahren zu recherchieren. Der (deutsche) Polizeioberkommissar N. begleitete ihn auf dieser Reise. Der Journalist zahlte dem Polizisten angeblich (!) 100 EUR für die Weitergabe von Informationen. Der Polizist N. stellte nach Abschluss der Reise eine Rechnung über 3.149,07 Euro an die Chefredaktion der MoPo. Auf der Rechnung findet sich die Zahlungsanweisung: „Wegen der Konspirativität in dieser Sache bitte ich um Barauszahlung“.
Polizist stellte Redaktion Rechnung mit Bitte um Barzahlung
Gegen den N. wurde aus anderen Gründen ein Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrats (§ 353b StGB) eröffnet. N. stand in dem Verdacht, Daten zu einer geplanten Razzia der Berliner Polizei im Rockermilieu an Journalisten weitergegeben zu haben. Über die bevorstehende Razzia hatte jedoch nicht der Zeitungsverlag vorab berichtet, sondern ein mit diesem nicht in Zusammenhang stehendes Online-Portal.Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens stieß man auf die Rechnung an die MoPo.
Ermittlungsverfahren gegen Polizist wegen Geheimnisverrats – und gegen Journalist wegen Beihilfe
Bei N. wurde im Rahmen dieses Strafverfahrens auch noch ein Handy sichergestellt, das auf eine nicht existierende Person angemeldet war und und auf dem ausschließlich die Nummer des beschwerdeführenden Journalisten sowie eines weiteren Journalisten gespeichert waren. Unter anderem fand man auf diesem Handy auch eine SMS an den Beschwerdeführer, in der sich N für die Zahlung von 100 EUR bedankte. Dies nahm die Staatsanwaltschaft zum Anlass, ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat einzuleiten. Im November 2012 wurden auf richterliche Anordnung die Redaktionsräume der MoPo sowie die Privatwohnung des Beschwerdeführers zu 1) durchsucht und dabei verschiedene Datenträger beschlagnahmt, obwohl die MoPo vor Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses die den Polizeibeamten N betreffenden Abrechnungsunterlagen herausgegeben hatte.
Unter anderem hatte die MoPo einen im Dezember 2012 unter dem Titel „in eigener Sache“ erschienenen Artikel an die Staatsanwaltschaft versendet, in welchem es auszugsweise hieß:
Mitte der 90er-Jahre verschwand der zwölfjährige Manuel Schadwald aus Berlin-Tempelhof. Jahrelang gab es Gerüchte, dass er Opfer von Pädophilen geworden sein könnte. Immer wieder tauchte in diesem Fall auch der Name des belgischen Kinderhändlers Marc Dutroux auf. Der Chefreporter der Berliner Morgenpost recherchierte und berichtete zusammen mit einem Kollegen über das Verschwinden des Berliner Jungen.
Vor gut zwei Jahren meldete sich plötzlich ein neuer Informant. Es ergab sich erneut eine Spur, die nach Holland führte. Im Frühjahr 2011 reisten die beiden Journalisten nach Amsterdam. Der Verlag bestand darauf, dass auf der Recherchereise ein besonderer Sicherheitsstandard eingehalten wurde. Denn im Umfeld des Kinderhändlerrings von Marc Dutroux starben schon mehrere Zeugen. Neben zwei Personenschützern einer privaten Sicherheitsfirma wurde auch ein Sicherheitsexperte des Berliner Landeskriminalamts engagiert. Diesen kannte der Chefreporter seit vielen Jahren persönlich und vertraute ihm daher besonders. Der Beamte begleitete die Reporter außerhalb seiner Dienstzeit nach Amsterdam. Dafür erhielt der Polizist einen Tagessatz von 500 Euro. Solche Tagessätze gelten in der Sicherheitsbranche als üblich. Nach Angaben der Berliner Kuhr Security, die auch Personenschutz übernimmt, betragen die Kosten bei Auslandseinsätzen sogar deutlich mehr. Die Recherchen in Amsterdam dauerten vier Tage. Hinzu kamen Kosten für Flugtickets, Mietwagen und Hotel in Höhe von gut 1000 Euro. Damit belief sich die Gesamtsumme auf gut 3000 Euro (…).
Die Staatsanwaltschaft hingegen scheint bei der Fahrt nach Amsterdam von einer Vergnügungsreise auszugehen und leitet daraus den Vorwurf der Bestechung ab. Das der Berliner Polizei übergebene Material lässt aber eindeutig einen anderen Schluss zu: Die Reise war eine Recherchereise – mit persönlichem Risiko für die Reporter der Berliner Morgenpost.
Nach der Übergabe der Unterlagen an die Berliner Polizei passierte lange Zeit nichts. Bis der Beamte, der die Reporter in Amsterdam begleitet hatte, Mitte dieses Jahres in Verdacht geriet, eine geplante Razzia im Rockermilieu an Journalisten verraten zu haben. Die Polizeiführung leitete ein Verfahren wegen Geheimnisverrats an. Auf dem Computer und auf dem Handy des Beamten fanden die Ermittler eine Rechnung für die Recherchereise nach Holland in Höhe von gut 3000 Euro und die Telefonnummer des Morgenpost-Reporters
(.)
Eine Nebenrolle bei den Vorwürfen spielt auch eine SMS, in der sich der Polizist bei dem Reporter für 100 Euro bedankte. Dabei handelte es sich um eine Auslage für zwei Jacken, die der LKA-Beamte in einem Polizei-Shop für den Reporter und einen weiteren Kollegen erworben hatte. Dort können Polizisten einkaufen. Der Morgenpost Reporter gab ihm später das Geld für die Jacken zurück“.
Beschwerde gegen Durchsuchungsbeschluss verworfen
Die MoPo und der Journalist legten gegen die Durchsuchung Beschwerden ein – welche das Landgericht verwarf. Aus den Ermittlungen habe sich ein Anfangsverdacht gegen die Beschuldigten ergeben. Die Ergebnisse der Auswertung eines in dem wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen geführten Ermittlungsverfahren sichergestellten Mobiltelefons des N, welches auf eine nicht existente Person angemeldet gewesen sei und über welches N ausschließlich mit dem Beschwerdeführer zu I. sowie einem weiteren Journalisten Nachrichten mit eindeutig dienstlichem Bezug ausgetauscht habe, zeige eine ausreichende Wahrscheinlichkeit auf, dass dienstlich erlangte Informationen weitergegeben worden seien. Aus dem Ermittlungsverfahren sei ferner bekannt, dass N in der Nacht vom 25. auf den 26. Mai 2012 erhebliche Datenmengen per E-Mail von seinem Dienst- auf seinen Privatcomputer transferiert habe. Einige Tage danach habe Spiegel-Online über eine für kurze Zeit später geplante polizeiliche Maßnahme im Rockermilieu berichtet.
Der Durchsuchung stünden auch keine presserechtlichen Beschlagnahmeprivilegien entgegen. Das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 5 Satz 1 StPO sei nicht anwendbar. Zwar bedürfe es in diesem Zusammenhang gemäß § 97 Abs. 5 Satz 2 StPO eines dringenden Tatverdachts einer Beteiligung und sei eine Beschlagnahme selbst dann nur zulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der Pressefreiheit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht und die Erforschung des Sachverhaltes oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Der dringende Tatverdacht ergebe sich schon aus der konspirativen Nutzung des auf eine nicht existente Person angemeldeten „Journalisten-Handys“. Hinzu komme als weiteres Verdachtsmoment, dass N als dienstunfähig Erkrankter und zur Nachtzeit Daten mit dienstlichen Bezügen von seinem Dienst- auf seinen Privatcomputer übermittelt habe.
Gegen diese Beschlüsse des Landgerichts wendeten sich die Beschwerdeführer mit ihrer Verfassungsbeschwerde.
Bundesverfassungsgericht entscheidet: Eingriff in Pressefreiheit ist grundrechtlich unzulässig
Das Bundesverfassungsgericht ist der Ansicht, dass die Verfassungsbeschwerden, soweit sie die Verletzung ihrer Pressefreiheit rügen, offensichtlich begründet sind. Der Eingriff in die Pressefreiheit in Form der Durchsuchung der Redaktion und der Beschlagnahme der dort gefundenen Beweismittel ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
Pressefreiheit umfasst Vertrauensschutz der Informanten
Die Pressefreiheit umfasst den Schutz vor dem Eindringen des Staates in die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihren Informanten, hält das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung fest. Die Freiheit der Medien sei konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Eine freie Presse sei daher von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat. Geschützt sind namentlich auch die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse bzw. Rundfunk und den Informanten. Dieser Schutz ist sei nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts unentbehrlich, weil die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann.
Durchsuchung ist Beeinträchtigung der Pressefreiheit
Die Durchsuchung von Presseräumen stelle wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit und der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar. Die Beschlagnahme von Datenträgern und der damit einhergehende Zugang zu redaktionellem Datenmaterial greife zudem in besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ein.
Anordnung der Durchsuchung war verfassungswidrig
Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume und die Beschlagnahme der dort gefundenen Gegenstände waren nach der eindeutigen Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig. Der Tatverdacht gegen die Beschwerdeführer selbst habe unter Berücksichtigung des Grundrechts der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht ausgereicht, um eine Durchsuchung und Beschlagnahme bei ihnen zu rechtfertigen. Das BVerfG weist dabei auf die gesetzlichen Änderungen in § 353b StGB hin, wonach Beihilfehandlungen zum Geheimnisverrat nach Maßgabe des Abs. 3a StGB nicht mehr rechtswidrig sind. Strafbar blieben hingegen die Anstiftung zum Geheimnisverrat sowie Beihilfehandlungen, die der Vollendung der Haupttat vorausgehen oder über das Entgegennehmen und Veröffentlichen der Information hinausgehen. Dazu solle insbesondere die Zahlung eines Honorars für dienstlich erlangte Informationen gehören.
Pressefreiheit findet ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen
Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet die Pressefreiheit grundsätzlich ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Die Bestimmungen der StPO mit ihrer prinzipiellen Verpflichtung für jeden Staatsbürger, zur Wahrheitsfindung im Strafverfahren beizutragen und die im Gesetz vorgesehenen Ermittlungsmaßnahmen zu dulden, sind sind ein solches allgemeines Gesetz. Sie müssen allerdings ihrerseits im Lichte dieser Grundrechtsverbürgung gesehen werden.
Dieses Erfordernis war nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht erfüllt. Der den gerichtlichen Anordnungen zu Grunde liegende Tatverdacht gegen die Beschwerdeführer reichte unter Berücksichtigung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG für eine auf §§ 102, 94 StPO gegründete Durchsuchung und Beschlagnahme bei den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StPO genannten Personen nicht aus. Denn: Dieser Anfangsverdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht (PrStG) die Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses durch die Entgegennahme, Auswertung oder Veröffentlichung des verratenen Geheimnisses straflos gestellt (§ 353b IIIa StGB) hat. Alles, was darüber hinausgeht – beispielsweise also die Zahlung eines Honorars – bleibt strafbar.
Durchsuchungsbeschluss aufgrund bloßer Mutmaßungen reicht nicht aus
Im vorliegenden Fall ging es den Strafverfolgungsbehörden nach Auffassung des Verfassungsgerichts zumindest vorwiegend um die Ermittlung belastender Tatsachen gegen einen Informanten aus Polizeikreisen, was auch in dem angefochtenen landgerichtlichen Beschluss deutlich wird. Diesem sollten Geldbeträge für Informationen im Zusammenhang mit bevorstehenden Ermittlungsmaßnahmen gezahlt worden sein. Dabei handelt es sich bezogen auf dessen Kontakt zu den Beschwerdeführern, deren Redaktionsräume durchsucht wurden, jedoch um bloße Mutmaßungen. Zum einen berichtete nicht die MoPo, für die der beschwerdeführende Journalist. arbeitet, über die bevorstehende Razzia, sondern Spiegel-Online. Weder dem Durchsuchungsbeschluss noch der Beschwerdeentscheidung ist zum anderen zu entnehmen, für welche den Beschwerdeführern übermittelte Informationen das Geld gezahlt worden sein soll. Der Tatbestand der Bestechung (§ 334 StGB) verlangt jedoch schon einfachrechtlich die Vornahme einer hinreichend konkreten Diensthandlung (vgl. BGHSt 15, 217 <222 f.>). Es mangele danach in Bezug auf die Beschwerdeführer an zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine den Beschlagnahmeschutz gemäß § 97 Abs. 5 Satz 1 StPO entfallen lassende Straftat.
Auch aus dem bloßen Umstand, dass der mitbeschuldigte Polizeibeamte ein auf eine fingierte Person angemeldetes „Journalisten-Handy“ nutzte, lässt sich nicht auf einen Tatverdacht der Bestechung gerade seitens der Beschwerdeführer schließen. Das „Journalisten-Handy“, auf dem die Namen des Beschwerdeführers und eines Journalisten von Spiegel-Online gespeichert waren, mag dafür sprechen, dass der Informant dienstliche Geheimnisse an Journalisten weitergegeben hat; wegen des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Informantenschutzes rechtfertigt das bloße Interesse der Strafverfolgungsbehörden, dies zu erfahren, jedoch keine Durchsuchung in den Redaktionsräumen von Presseorganen. Insbesondere begründet dies noch keinen strafrechtlichen Vorwurf gegenüber den Beschwerdeführern. Warum der Eintrag des Beschwerdeführers in dem Mobiltelefon gerade für eine Weitergabe der betreffenden Informationen hinsichtlich einer Razzia an diesen sprechen soll, obschon demgegenüber das OnlineMagazin, für welches der andere eingespeicherte Journalist tätig ist, über diesbezügliche Ermittlungsmaßnahmen vorab berichtete, bleibt unklar.
Auch aus dem Vermerk auf der Rechnung ließe sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf eine Bestechung schließen. So bezog sich die Rechnung auf die Reise nach Amsterdam, für deren Ermöglichung sich der Beamte als dienstunfähig gemeldet hatte und nach den amts- und landgerichtlichen Feststellungen auch über keine Nebentätigkeitsgenehmigung verfügte. Es erschien daher nicht fernliegend, dass sich der Vermerk darauf bezog, dass der Beamte disziplinarrechtliche Konsequenzen wegen der falschen Krankmeldung und mangelnden Nebentätigkeitsgenehmigung befürchten musste. Ein Verdacht gegenüber den Beschwerdeführern folgt hieraus jedoch nicht.
Die Verfassungsbeschwerde hatte damit vollen Erfolg.
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