Bereits Anfang März hatten wir darüber berichtet, welche Strafen bei Verstößen gegen eine angeordnete Quarantäne drohen. In den vergangenen zwei Wochen seitdem hat sich die Lage erheblich verschärft – in der gesamten Bundesrepublik herrscht jetzt zumindest ein Kontaktverbot und Annäherungsverbot. Verstöße dagegen werden mit Bußgeldern und Geld- beziehungsweise Freiheitsstrafen geahndet. Bereits heute haben wir in unserer Kanzlei die Verteidigung in den ersten Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz übernommen. An dieser Stelle möchten wir daher über den den aktuellen Stand informieren: Welche Strafen drohen bei Verstößen gegen das Annäherungs- und Kontaktverbot?

Strafen bei Verstößen gegen das Kontaktverbot – hohe Bußgelder und schnelle Strafverfahren drohen

Am 22. März verständigten sich Bund und Länder über weitergehende Maßnahmen in der Bekämpfung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus. Faktisch wurde ein Landesweites Kontaktverbot beschlossen – es ist nicht mehr gestattet, sich mit mehr als einer anderen Person, die kein Haushaltsangehöriger ist, im öffentlichen Raum zu treffen.

Die einzelnen Bundesländer änderten und ergänzten Ihre bereits erlassenen Verordnungen über die Eindämmung und Bekämpfung des Coronavirus. Insbesondere wurde das von den Medien sog. „Kontaktverbot“ nunmehr in die Rechtsverordnungen der Länder aufgenommen. Es ist damit Gesetz geworden.

Beispiel Baden-Württemberg: Dort heißt es jetzt in § 3 CoronaVO-BW

„Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nunmehr nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet. Zu anderen Personen ist im öffentlichen Raum, wo immer möglich, ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten“.

Es verbleibt aber nun die Frage, wie Verstöße gegen das Kontaktverbot geahndet werden.

Welche Strafen drohen genau?

Gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 11a IfSG (Infektionsschutzgesetz) ist es eine Ordnungswidrigkeit, wenn jemand vorsätzlich oder fahrlässig einer vollziehbaren Anordnung nach § 28 Absatz 2, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 32 Satz 1, zuwiderhandelt. Für diese Art von Verstößen soll der heute bekannt gewordene Bußgeldkatalog des Landes Nordrhein-Westfalen nun eine Richtlinie geben.

So sollen bei einem Verstoß gegen das Kontaktverbot (bei einer Ansammlung von nicht mehr als 10 Personen) pro Beteiligten 200 Euro Bußgeld verhängt werden. Picknicken und Grillen schlagen mit 250 Euro pro Teilnehmer zu Buche.

Wesentlich drastischer fallen die Strafen gegenüber Gewerbetreibenden aus:

Ein Verstoß gegen das Verkaufsverbot nach § 5 CoronaSchVO zieht für Betriebsinhaber oder bei juristischen Personen für die Geschäftsführung eine Geldbuße in Höhe von 2.000 Euro nach sich.

Quelle: https://polizei.nrw/artikel/straf-und-bussgeldkatalog-zur-umsetzung-des-kontaktverbots

Dabei gilt zu beachten, dass diese Regelsätze wohl nur für einen Erstverstoß gelten. Der Pressemitteilun der Polizei in NRW zu Folge sind bei Folgeverstößen bzw. mehrmaligen Verstößen die Bußgelder jeweils zu verdoppeln. In Einzelfällen kann im Wiederholungsfalle eine Geldbuße von bis zu 25.000 Euro verhängt werden.“

Bußgelder bis zu 25.000 EUR zu erwarten

Bei Folgeverstößen muss also mit Geldbußen von bis zu 25.000 Euro gerechnet werden. Ob dies auch für den Picknicker auf der Grillwiese gilt, erscheint dabei jedoch fraglich. Unternehmer, die trotz Verkaufsverbotes Ihre Geschäfte öffnen dürfte bei mehrmaligen Verstößen jedoch ein solches Bußgeld zu erwarten haben.

Ein entsprechender Bußgeldkatalog in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz ist uns derzeit nicht bekannt. Es ist aber davon auszugehen, dass die anderen Bundesländer entweder selbst derartige Bußgeldkataloge erlassen werden, oder sich zumindest bezüglich der Höhe der einzelnen Bußgelder am nordrhein-westfälischen Bußgeldkatalog orientieren werden.

Doch nicht alle Verstöße stellen „nur“ eine Ordnungswidrigkeit dar.

„Das sind harte Strafen. Aber wer nicht hören will, muss eben zahlen oder wird aus dem Verkehr gezogen. Es geht hier schließlich nicht um eine Kleinigkeit, sondern um die Gesundheit und das Leben von Millionen von Menschen. Die Ordnungsämter und die Polizei werden die Maßnahmen mit Augenmaß, aber mit aller notwendigen Härte durchsetzen“.

NRW-Innenminister Herbert Reul

Geldstrafen und Freiheitsstrafen möglich – Vorstrafen und Gefängnis wegen verstoß gegen Kontaktverbot

Anwalt für Strafrecht - Tim WullbrandtGemäß § 75 Abs. 1 Nr. 1 Infektionsschutzgesetz wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer einer vollziehbaren Anordnung nach § 28 Abs. 1 Satz 2, § 30 Abs. 1 oder § 31, jeweils auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 32 Satz 1, zuwiderhandelt. Die Corona-Verordnungen der Länder sind solche Rechtsverordnungen nach § 32 Satz 1 Infektionsschutzgesetz.

Nordrhein-Westfalen hat in seiner Mitteilung gleichzeitig klargestellt, welche Verstöße gegen die dort geltende Coronaschutzverordnung als Straftaten geahndet werden sollen:

Als Straftaten gemäß §§ 75, 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG i. V. m. der CoronaSchVO einzuordnen und an die Strafverfolgungsbehörden abzugeben sind

  • Verstöße gegen das Ansammlungsverbot (vgl. § 3 Abs. 1 CoronaVO-BW):

vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen das Verbot von Ansammlungen in der Öffentlichkeit und Zusammenkünften von mehr als 2 Personen (§ 12 CoronaSchVO), falls die Ansammlung/Zusammenkunft aus mehr als 10 Personen besteht,

  • Verstöße gegen das Versammlungs- und Veranstaltungsverbot (vgl. § 3 Abs. 2 und 5 CoronaVO-BW):

vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen das Verbot, (öffentliche) Veranstaltungen/Versammlungen durchzuführen (§ 2 Abs. 4 CoronaSchVO für öffentliche Veranstaltungen in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen; § 11 Abs. 1 CoronaSchVO allgemein für Veranstaltungen und Versammlungen)

  • Verstöße gegen das Reiserückkehrerverbot (vgl. § 3a Abs. 1 CoronaVO-BW):

vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen die Betretungsverbote für Reiserückkehrer aus Risikogebieten nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 CoronaSchVO

Dies bedeutet, ein Verstoß gegen die in den Corona-Verordnungen der Länder festgelegten Maßnahmen und Verboten kann schnell zu einem Strafverfahren führen.


Sollten Sie ein Schreiben der Polizei oder Staatsanwaltschaft erhalten, in dem Ihnen ein Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz und die Corona-Verordnungen der Länder vorgeworfen wird, dann stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit gerne bundesweit für Ihre Verteidigung zur Verfügung.

Was bei einem Verstoß gegen eine amtliche angeordnete Quarantäne drohen kann, erfahren sie hier.

Ihre Ansprechpartner sind:

Rechtsanwalt Sebastian Lang-WehrleRechtsanwalt Sebastian Lang-Wehrle

Telefon: 06221/3219270

E-Mail: slw@wullbrandt-rechtsanwaelte.de

 

Rechtsanwalt Tim Wullbrandt
Fachanwalt für Strafrecht

Telefon: 06221/3219271

E-Mail: twu@wullbrandt-rechtsanwaelte.de

Ein Paragraph vor petrolfarbenem Hintergrund

Lokale Einzelhändler aufgepasst: Wer sein Geschäft wegen der Corona-Pandemie schließen musste und seinen Kunden jetzt Lieferservice anbietet, der wird damit unter Umständen zum Versandhändler – mit allen juristischen Folgen einschließlich Gefahr einer (oder mehrerer) Abmahnung.

„Sie rufen an, wir liefern gerne“ macht Einzelhändler zum Versandhandel

Nachdem eine große Menge von meist lokalen Händlern durch die Verordnungen der Länder zum Schutz vor der Covid 19 – Pandemie gezwungen wurden, ihre Ladenlokale zu schließen zeigt sich – wohl aus berechtigter Angst um die wirtschaftliche Existenz – in den letzten Tagen ein Aktionismus unter den Einzelhändlern, der erst einmal vernünftig und serviceorientiert anmutet.

Sie können und gerne anrufen oder eine E-Mail senden, wir bringen die Ware dann mit Rechnung zu Ihnen!

So oder so ähnlich kamm man in einer Vielzahl von Schaufenstern seit einigen Tagen lesen. Der Gedanke, dass man als bewährter Einzelhändler seine Kunden vor Ort einfach beliefert, liegt nicht fern und klingt nach einer guten Idee, um den Geschäftsbetrieb am Laufen zu halten. Das kann auch so sein. Dieses Vorgehen bietet aber auch einen gewaltigen Fallstrick, über den sich die meisten – teils alteingesessenen – Händler nicht im klaren sind (teils wird dies auch sehenden Auges ignoriert): Werden die Waren explizit zur Bestellung und Heimlieferung angeboten, dann wird aus dem ortsgebundenen Einzelhändler ein Versandhändler. Und als Versandhändler gelten andere Regeln im Geschäftsverkehr.

Für Versandhändler gelten die Regeln zum Fernabsatz

Das Besondere ist, dass sich „klassische“ Geschäfte an der Ladentheke deutlich von sogenannten Fernabsatzgeschäften unterscheiden. Fernabsatzgeschäfte sind solche Verträge, die unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden. Und Fernkommunikationsmittel sind eben originär auch Telefon, Brief, Fax und E-Mail (§ 312c BGB).

Nun findet sich in diesem § 312c Absatz 1 BGB der zweite Halbsatz

es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt

Jetzt kann man auf die Idee kommen dass ein Einzelhändler, der für einige Wochen bis Monate „übergangsweise und hilfsweise“ die Bestellung per Mail und Lieferung an die Haustür anbietet nicht im Rahmen eines „für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems“ agiert und deshalb die Regelungen über den Fernabsatz nicht anwendbar sind.

Weit gefehlt.

Bundesgerichtshof fasst Voraussetzungen für Fernabsatz weit

Der Bundesgerichtshof als höchste Instanz hat in in einem Urteil (1 ZR 30/15) wie folgt entschieden:

Der deutsche Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die Existenz eines organisierten Vertriebssystems verlangt, dass der Unternehmer mit – nicht notwendig aufwendiger – personeller und sachlicher Ausstattung innerhalb seines Betriebs die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig im Fernabsatz zu tätigende Geschäfte zu bewältigen. Dabei sind an die Annahme eines solchen Vertriebs- oder Dienstleistungssystems insgesamt keine hohen Anforderungen zu stellen (…)

Nur Geschäfte, die unter gelegentlichem, eher zufälligem Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, sollen aus dem Anwendungsbereich ausscheiden (…) Der sachliche Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts soll demnach beispielsweise nicht schon dann eröffnet sein, wenn der Inhaber eines Geschäfts ausnahmsweise eine telefonische Bestellung entgegennimmt und die Ware dem Kunden nicht in seinem Ladenlokal übergibt, sondern mit der Post versendet. Die Grenze zum organisierten Fernabsatzsystem soll jedoch dann überschritten sein, wenn der Inhaber eines Geschäfts Waren nicht nur gelegentlich versendet, sondern systematisch auch mit dem Angebot telefonischer Bestellung und Zusendung der Waren wirbt (…) Damit soll der Betreiber eines stationären Ladenlokals, der seine Leistungen ausschließlich vor Ort erbringt, nicht davon abgehalten werden, ausnahmsweise auch eine telefonische Bestellung entgegen zu nehmen

Wie man sieht lässt der Bundesgerichtshof zwar Ausnahmen von einem organisierten Fernabsatzsystem aus. Er sieht das Fernabsatzsystem aber eben dann als gegeben an, wenn der Händler damit wirbt auf telefonische / per Mail versendete Bestellung die Ware zu liefern. Genau dieser Fall liegt nach unserem Erachten hier vor. In dem Moment, in dem ein Händler damit wirbt, dass er auf Bestellung liefert, liegt wohl ein Fernabsatzsystem vor. Der Bundesgerichtshof sieht nämlich in seiner Entscheidung grundsätzlich keine zeitliche Grenze für die geschäftliche Betätigung als Maßstab. Fernabsatz ja oder nein hängt also wohl nicht davon ab, für welchen Zeitraum man die Bestellmöglichkeit anbietet (für immer oder nur für wenige Wochen Ladenschluss). Entscheidendes Kriterium dürfte vielmehr das offene werbliche Angebot der Bestellmöglichkeit sein.

Folge: Händler müssen Widerrufsrechte gewähren

Die Folge dieser Einstufung als Fernabsatz ist, dass die Händler ihren Kunden nun unter anderem ein Widerrufsrecht gewähren müssen. Während beispielsweise bei einem Buchhändler früher das Buch über den Ladentisch ging und fix verkauft war muss der Händler nun bei einer Bestellung damit rechnen, dass er das Buch nach 14 Tagen retourniert bekommt und den Erlös zurückzahlen muss. Und diese 14-Tage-Frist gilt nur, wenn der der Lieferung eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung beigelegt hat. War das nicht der Fall, dann besteht das Widerrufsrecht unter Umständen noch sehr viel länger.

Rechtsanwälte für Jugendstrafrecht Unser Tipp: Widerrufsbelehrung beilegen!

Unser Tipp an dieser Stelle kann daher nur lauten: Legen Sie Ihrer Lieferung eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung bei! Sie vermeiden so zwar nicht mögliche Rückläufer. Sie können aber vermeiden, dass Kunden die gelieferten Artikel unter Umständen erst in mehreren Wochen und Monaten retournieren und Sie den vollen Verkaufspreis zurückerstatten müssen.

Muster solcher Widerrufsbelehrungen erhalten Sie beispielsweise bei Ihrer örtlichen Industrie- und Handelskammer, bei Janolaw*, eRecht24, Ihrem Einkaufsverband oder einer im Handelsrecht tätigen Anwaltskanzlei.

Sie haben noch Fragen? Dann stehen wir Ihnen gerne Rede und Antwort! Schreiben Sie einfach eine E-Mail an Herrn Rechtsanwalt Lang-Wehrle oder hinterlassen Sie einen Kommentar zum Artikel – wir freuen uns auf Ihre Nachricht!


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Insolvenzrecht - WULLBRANDT Rechtsanwälte

Spätestens seit dem 16. März 2020 ist klar: Die Corona-Krise wird auch für eine Vielzahl von kleinen bis mittelgroßen Unternehmen in Deutschland zur finanziellen und existentiellen Krise. Das Bundesjustizministerium reagiert darauf und beabsichtigt, die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, die nur durch die Corona-Krise zahlungsunfähig werden und in die Krise geraten, von der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags für einige Monate zu befreien. 

Ausgangssperren zum Schutz vor Corona bedrohen Existenzen

Immer mehr Gemeinden und Bundesländer, so auch Bayern und Baden-Württemberg, haben im Zuge der Corona-Krise Länderverordnungen zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Corona-Virus beschlossen. Diese Verordnungen, deren Rechtsgrundlage insbesondere das Infektionsschutzgesetz bildet, schränken das Privatleben vieler Menschen erheblich ein – und stellen faktisch für viele insbesondere kleine und mittlere Unternehmen eine ganz erhebliche Existenzbedrohung dar. Insbesondere Unternehmen aus den Bereichen Gastronomie, Sport und Freizeit sind davon betroffen – diese Betriebe werden zwangsweise geschlossen, so dass von jetzt auf sofort die laufenden Einnahmen wegbrechen.

Wann muss Insolvenzantrag normaler Weise gestellt werden?

Anwalt für Wirtschaftsstrafrecht - Tim WullbrandtDie gesetzliche Regelung in der Insolvenzordnung (§ 15a InsO) ist die, dass alle juristischen Personen dann, wenn sie zahlungsunfähig oder überschuldet sind, einen Insolvenzantrag stellen müssen. Diese Regelung trifft also nicht jeden Unternehmer, sondern nur juristische Personen. Juristische Personen sind alle Kapitalgesellschaften, also insbesondere GmbH, UG, KG, GmbH & Co KG, AG, Limited und SE. Liegt bei einer solchen Gesellschaft ein Insolvenzgrund vor, dann muss der Geschäftsführer einen Insolvenzantrag stellen. Macht er das nicht, dann stellt die nicht-Abgabe des Insolvenzantrags eine Straftat dar! Mehr dazu erfahren Sie in unserer Spezialseite zum Insolvenzstrafrecht.

Was ist ein Insolvenzgrund, was ist Insolvenzreife?

Der Insolvenzantrag muss gestellt werden, wenn ein Insolvenzgrund vorliegt. Die Insolvenzordnung kennt faktisch zwei Insolvenzgründe:

  1. Überschuldung der Gesellschaft
  2. Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft

Was ist Überschuldung?

Die Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Das ist der Wortlaut des Gesetzes in § 19 InsO. Hat das Unternehmen also mehr Schulden als Unternehmenswert, dann liegt Überschuldung und dem Grunde nach ein Insolvenzgrund vor. Der Insolvenzantrag muss aber dann nicht gestellt werden, wenn eine sogenannte „positive Fortführungsprognose“ für das Unternehmen vorliegt. Das bedeutet, die Geschäftsführung muss einen belastbaren Plan haben, wie das Unternehmen in den nächsten 6-12 Monaten erfolgreich wirtschaften und in die schwarzen Zahlen gelangen kann. Ein Beispiel im Corona-Zusammenhang:

Das Fitnessstudio F in Heidelberg besteht seit 10 Jahren, das Unternehmen ist profitabel und wirft Gewinne ab. Nun wird es durch die Landesverordnung per sofort für die Dauer der Schutzmaßnahmen geschlossen. Während der Schließung laufen die monatlichen Fixkosten wie Miete, Leasingverträge, Personal etc. weiter. Der Wert des Unternehmens beträgt 200.000 Euro. Das Unternehmen nimmt jetzt zur Aufrechterhaltung des Betriebs ein Darlehen bei der Bank in Höhe von 250.000 Euro auf, um über die Schließungszeit zu kommen. Damit wäre das Unternehmen eigentlich per sofort Überschuldet und müsste einen Insolvenzantrag stellen. Da die Geschäftsführung aufgrund der guten Erträge in der Vergangenheit aber damit planen kann, dass die Schließungszeit maximal drei Monate beträgt und das Darlehen danach aus den laufenden Erträgen des Unternehmens zurückgezahlt werden kann liegt eine positive Fortführungsprognose vor und es muss kein Insolvenzantrag gestellt werden.

Was ist Zahlungsunfähigkeit?

OrganhaftungWesentlich relevanter im Zusammenhang mit der Corona-Krise wird jedoch der Insolvenzgrund „Zahlungsunfähigkeit“ sein. Per Gesetz ist ein Unternehmen zahlungsunfähig, wenn ist es nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Sprich: Es ist zahlungsunfähig, wenn die laufenden Kosten und die fälligen Eingangsrechnungen nicht mehr bezahlt werden können. Der Bundesgerichtshof hat das noch weiter konkretisiert, er sagt:

Zahlungsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Schuldner nicht innerhalb von drei Wochen in der Lage ist, 90 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten zu begleichen.

Dieser Fall dürfte in der aktuellen Situation sehr oft vorkommen, gerade wenn kleinere Unternehmen keine Hilfe durch größere Darlehen seitens ihrer Bank oder der KfW erhalten. Auch hier ein Beispiel:

Die Cafe GmbH betreibt das Ausflugscafe „C“ in Heidelberg. Dieses wird per sofort am 20. März geschlossen, die Umsätze und Einnahmen brechen per sofort um 100% ein. Für die Pacht und die Gehälter des laufenden Monats ist noch genug Geld auf dem Konto. Die Sperrung dauert auch am 10. April noch an. Da keine Einnahmen mehr kamen ist das Geschäftskonto auf 0 oder im Soll. Am 15. April wird die Strom- und Gasrechnung fällig, am 28. April die laufenden Gehälter, am 30. April die laufende Pacht. Am 15. April erfolgt die Mitteilung, dass die Sperrung aller Gaststätten noch mindestens bis zum 15. Mai andauern wird.

Im oben genannten Beispiel wäre die Cafe GmbH spätestens am 07. Mai – also drei Wochen nach Fälligkeit der Gas- und Stromrechnung am 15. April – zahlungsunfähig und müsste einen Insolvenzantrag stellen.

Änderung der Insolvenzantragspflicht durch Bundesjustizministerium in Aussicht gestellt

Um eine Welle von „Corona-bedingten“ Insolvenzen zu vermeiden hat das Bundesjustizministerium nun in einer Pressemitteilung in Aussicht gestellt, dass die Insolvenzantragspflicht bei Unternehmen, welche ausschließlich unter den Corona-Schutzmaßnahmen leiden, auszusetzen.

Wir wollen verhindern, dass Unternehmen nur deshalb Insolvenz anmelden müssen, weil die von der Bundesregierung beschlossenen Hilfen nicht rechtzeitig bei ihnen ankommen. Die reguläre Drei-Wochen-Frist der Insolvenzordnung ist für diese Fälle zu kurz bemessen. Deshalb flankieren wir das von der Bundesregierung bereits beschlossene Hilfspaket mit einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30.09.2020 für die betroffenen Unternehmen. Mit diesem Schritt tragen wir dazu bei, die Folgen des Ausbruchs für die Realwirtschaft abzufedern.

Christine Lambrecht, Bundesjustizministerin

Die Bundesregierung hatte ja bereit vor Rund einer Woche angekündigt, dass den von der Krise betroffenen Unternehmen Hilfen zur Sicherung ihrer Liquidität angeboten werden sollen. Aus organisatorischen und administrativen gründen kann aber nicht sichergestellt werden, dass diese Hilfen (in Form von Darlehen) so rechtzeitig an die Unternehmen ausgezahlt werden, dass sie nicht zwischenzeitlich insolvenzreif werden. Um also zu vermeiden, dass betroffene Unternehmen allein deshalb einen Insolvenzantrag stellen müssen, weil die Bearbeitung von Anträgen auf öffentliche Hilfen bzw. Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen in der außergewöhnlichen aktuellen Lage nicht innerhalb der dreiwöchigen Insolvenzantragspflicht abgeschlossen werden können, soll daher durch eine gesetzliche Regelung für einen Zeitraum bis zum 30.09.2020 die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt werden.

Achtung: Insolvenzantragspflicht nur bei Unternehmenskrise aufgrund Corona – Schutzmaßnahmen

Besonders wichtig dabei zu beachten ist jedoch, dass diese Regelung nur in den Fällen greifen soll, in denen klar ist dass

  1. der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht und
  2. dass aufgrund einer Beantragung öffentlicher Hilfen bzw. ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen eines Antragspflichtigen begründete Aussichten auf Sanierung bestehen.

Beruht der Insolvenzgrund also auf anderen Ursachen oder lag er bereits vor Eintritt der Corona-Epidemie vor, dann bleibt es unverändert bei der dreiwöchigen Frist zur Stellung des Insolvenzantrags.


Sie sind Unternehmer und möchten Sie zu Fragen eines Insolvenzantrags beraten lassen? Gerne stehen wir Ihnen telefonisch unter 06221/3219271 oder per Mail an twu@wullbrandt-rechtsanwaelte.de zur Verfügung. ihr Ansprechpartner ist Rechtsanwalt Tim Wullbrandt.

Anwalt für Strafrecht

Mit dem Auftreten des Corona-Virus geht vor allem in Deutschland die Angst vor einer Ansteckung, viel mehr aber wohl noch vor einer Quarantäne um. Immer wieder hört man, dass Menschen bereits beim Auftreten kleinster Symptome in sogenannte (häusliche) Quarantäne müssen. Wir möchten in diesem Beitrag einmal klären, was denn die Grundlagen einer solchen Quarantäne sind und was geschieht, wenn man sich nicht an die Quarantäne-Auflagen hält. 

Corona – Quarantäne: Was sind die rechtlichen Grundlagen und was passiert, wenn man gegen die Auflagen zur Quarantäne verstößt?

Aktuell werden in Deutschland jeden Tag neue bestätigte Corona-Infektionen bekannt. Auch die Zahl der sogenannten Verdachtsfälle – also der Fälle, bei denen typische Symptome auftreten und der Betroffene zuvor in einem Risikogebiet war oder mit infizierten Personen Kontakt hatte – steigt rapide an. Während bestätigte Infektionen stationär in Krankenhäusern behandelt werden wird bei Verdachtsfällen meistens eine sogenannte häusliche Quarantäne angeordnet. Häusliche Quarantäne bedeutet den ununterbrochenen Aufenthalt zuhause – man darf die eigene Wohnung nicht verlassen, auch für Einkäufe und beispielsweise den Job nicht. Eine häusliche Quarantäne dauert laut Robert-Koch-Institut bei einem Verdacht auf Infektion mit dem Coronavirus 14 Tage. Das entspricht der maximalen Dauer der Inkubationszeit. Den Link zur Webseite des Robert-Koch-Instituts haben wir Ihnen am Ende dieses Beitrags bereitgestellt.

Was ist die rechtliche Grundlage der Quarantäne?

Gibt es eigentlich eine gesetzliche Grundlage für die Quarantäne? Ja, diese Grundlage gibt es! Die rechtliche Grundlage für eine (häusliche) Quarantäne ist § 30 IfSG (Infektionsschutzgesetz).

In dessen Absatz 1, Satz 2, heisst es

Bei sonstigen Kranken* sowie Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern kann angeordnet werden, dass sie in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen, befolgen können oder befolgen würden und dadurch ihre Umgebung gefährden.

Dieser Satz bezieht sich auf „sonstige“ Kranke, da der Paragraf eigentlich auf Tuberkulose (Lungenpest) und hämorrhagisches Fieber (die werden in Absatz 1, Satz 1, genannt) abzielt. Der aktuell grassierende Corona-Virus ist also eine „sonstige“ Krankheit.

Die häusliche Quarantäne ist unproblematisch eine „sonstige geeignete Weise der Absonderung“ anstelle der sonst fälligen Einweisung in ein Krankenhaus.

Zuständig für die Einweisung sind die örtlichen Gesundheitsämter.

Muss ich mich an die Quarantäne halten?

Vielerorts wird die Einweisung in die häusliche Quarantäne als übertrieben und mit wenig Nutzen verbunden angesehen. Es stellt sich daher oft die Frage: Muss man sich an die Verordnung einer Quarantäne überhaupt halten? Die Antwort ist, wie sollte es auch anders sein:
Ja, man muss sich an die Anordnung der Quarantäne halten!

Die Anordnung der Quarantäne ist ein hoheitlicher Verwaltungsakt, ähnlich einem Fahrverbot oder einem Platzverweis.

Was passiert, wenn ich mich an die Quarantäne nicht halte?

Wenn man sich an die Anordnung der Quarantäne nicht hält, dann kann das drastische Folgen haben.

Die Durchsetzung von Quarantäne-Anordnungen erfolgt durch die Polizeibehörden vor Ort – also Ordnungsamt, Gesundheitsamt und Polizei. Für den Fall, dass man sich an die Anordnungen der Quarantäne nicht hält, bestimmt der zweite Absatz des § 30 IfSG folgendes:

Kommt der Betroffene den seine Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nach oder ist nach seinem bisherigen Verhalten anzunehmen, dass er solchen Anordnungen nicht ausreichend Folge leisten wird, so ist er zwangsweise durch Unterbringung in einem abgeschlossenen Krankenhaus oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses abzusondern. Ansteckungsverdächtige und Ausscheider können auch in einer anderen geeigneten abgeschlossenen Einrichtung abgesondert werden. Das Grundrecht der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz) kann insoweit eingeschränkt werden. Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gilt entsprechend.

Das bedeutet: Missachtet man die behördliche Quarantäneanordnung, dann besteht die Gefahr einer zwangsweisen Unterbringung in eine geschlossene Einrichtung. Die Polizei wäre also praktisch zur Festnahme und Unterbringung des Betroffenen berechtigt.

Bereits hier zeigt sich, dass es sich bei einer Quarantäne-Anordnung keinesfalls um eine „Empfehlung“ oder unverbindliche Anweisung handelt. denn: Wird die Anweisung nicht befolgt, dann erfolgt unter Umständen die zwangsweise Durchsetzung.

Achtung: Der Paragraf regelt auch die mögliche zwangsweise Unterbringung bei Personen, bei denen nach seinem bisherigen Verhalten anzunehmen ist, dass sie solchen Anordnungen (also einer Quarantäneanordnung) nicht ausreichend Folge leisten werden, Im Extremfall wäre das hier wohl auch dann schon anzunehmen, wenn eine unter Quarantäne gestellte Person beispielsweise in sozialen Medien zuvor glaubhaft verkündet hat, dass sie sich einer Quarantäne nicht unterziehen wird.

Anwalt für Strafrecht - Tim Wullbrandt

Missachtung der Quarantäne ist eine Straftat! Bis zwei Jahre Freiheitsstrafe bei Missachtung der Quarantäne

Ganz besonders wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang: Die Missachtung der Quarantäne ist eine Straftat! Verstöße gegen die Quarantäne werden gemäß § 75 Absatz 1 Nr. 1 IfSG mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren bestraft. Spätestens jetzt muss klar sein, dass die Anordnung der Quarantäne keinesfalls eine auf die leichte Schulter zu nehmende „Empfehlung“ des Gesundheitsamts ist. Denn wird ein Verstoß gegen die Anordnung der Quarantäne entdeckt, beispielsweise weil man während der Quarantäne einkaufen geht oder ins Kino, dann führt dies automatisch zur Einleitung eines Strafverfahrens. Die Höhe der Strafe bemisst sich dann nach der Schwere des Verstoßes – hier darf davon ausgegangen werden, dass ein einsamer Waldspaziergang wohl nur zu einer (geringen) Geldstrafe führen dürfte, wohingegen ein Kinobesuch oder der Einkauf in einem gut besuchten Supermarkt zu erheblich härteren Strafen führen dürfte.

Unser Rat als Strafverteidiger ist daher, die Anordnungen der Quarantäne jedenfalls zu befolgen!

Sollten Sie sich trotzdem Ermittlungen wegen eines Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz ausgesetzt sehen – läuft also ein Strafverfahren wegen einem Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz gegen Sie – dann stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit gerne bundesweit für Ihre Verteidigung zur Verfügung.


Hier gelangen Sie zur Webseite des Robert-Koch-Instituts.

Insolvenzrecht - WULLBRANDT Rechtsanwälte

Was ist eine Insolvenzanfechtung? Diese Frage stellt man sich als Laie spätestens dann, wenn man Post von einem Insolvenzverwalter erhält, der einem die Anfechtung einer Zahlung im Insolvenzverfahren erklärt. Mit der Insolvenzanfechtung hat ein Insolvenzverwalter ein sehr mächtiges Werkzeug an der Hand, um die Masse (also die zur Verteilung kommende Vermögensmenge des insolventen Unternehmens) zu erhöhen. Wie das ganze funktioniert und was es für Sie bedeutet, wenn Sie Post vom Insolvenzverwalter erhalten, in der Ihnen eine Anfechtung erklärt wird, das erklären wir in diesem Artikel.

Was ist eine Insolvenzanfechtung

Bereits vor einiger Zeit haben die FAZ und auch wir auf einem Beitrag darüber berichtet, dass die Zahl der Insolvenzanfechtungen in Deutschland erheblich steigt. Hier möchten wir nun einmal in der nötigen Kürze erklären, was eigentlich eine Insolvenzanfechtung ist und wie man sich dagegen wehren kann.

In aller Kürze: Wird über das Vermögen eines Firma oder Person das Insolvenzverfahren (diese Firma oder Person nennt man „Insolvenzschuldner“) eröffnet, dann kann der Insolvenzverwalter Zahlungen, welche der Insolvenzschuldner vor der Insolvenzeröffnung an seine Gläubiger geleistet hat, anfechten und vom Gläubiger zurückfordern. Ein Beispiel:

Fliesenleger F erhält vom Bauträger B einen Auftrag. F erledigt seine Arbeiten und stellt die vereinbarten 25.000 EUR am 1. März in Rechnung. B zahlt nicht. F mahnt mehrfach und beantragt einen Mahnbescheid. am 15. Juli endlich zahlt der B die 25.000 EUR. Am 1. September stellt B Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht. am 1. Oktober wird das Insolvenzverfahren eröffnet. Der vom Gericht eingesetzte Insolvenzverwalter I schreibt nun am 5. Oktober den F an und fordert von diesem die erhaltenen 25.000 EUR zurück.

Diese Rückforderung ist schlussendlich die Insolvenzanfechtung. Der Insolvenzverwalter hat eine Zahlung des Insolvenzschuldners angefochten.

Die gesetzlichen Regelungen hierzu finden sich in der Insolvenzordnung, dort in den §§ 129 bis 147 InsO (Insolvenzordnung)

Welchen Sinn hat eine Insolvenzanfechtung?

Die Insolvenzanfechtung ist eines der Rechtsinstitute, das von Laien als am meisten ungerecht und am wenigsten verständlich angesehen wird (und das möglicherweise auch zu Recht). Denn es sorgt dafür, dass man unter Umständen Verdienste für eigene lange Arbeit zurückzahlen muss und unter anderem selbst in wirtschaftliche Bedrängnis oder gar Not hierdurch gerät. Grund dafür ist die eigentliche Systematik des Insolvenzverfahrens. Denn: Zweck eines Insolvenzverfahrens ist es, die

Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt

wird (§ 1 InsO). Das Insolvenzrecht stellt also die Gläubigergemeinschaft in den Vordergrund – dieser hat sich der einzelne unterzuordnen. Der Insolvenzverwalter ist im Verfahren der Gläubigergesamtheit verpflichtet und muss damit dafür sorgen, dass so viel wie möglich Masse erzeugt wird. Der Hintergrdanke einer Insolvenzanfechtung ist also, dass man Wohl der Gläubigergesamtheit der einzelne zurückstecken und zurückzahlen muss (unabhängig davon, ob er hierfür Leistungen erbracht hat).

Wer kann anfechten?

Insolvenzanfechtungen gehen immer vom Insolvenzverwalter aus, nur er kann anfechten. Unter Umständen beauftragt er mit der Anfechtung eine Rechtsanwaltskanzlei, die dann in seinem Namen tätig wird.

Wer ist Gegner der Anfechtung?

Die Insolvenzanfechtung richtet sich immer gegen Zahlungen und Leistungen des Insolvenzschuldners an seine Gläubiger. Anfechtungsgegner ist also immer ein Zahlungsempfänger (ehemaliger Gläubiger) oder Leistungsempfänger des Insolvenzschuldners. In den meisten Fällen also Dienstleister und Auftragnehmer des Insolvenzschuldners, welche vor der Insolvenzeröffnung Leistungen für diesen ausgeführt und dafür eine Entlohnung erhalten haben.

Was wird angefochten?

Angefochten werden können zunächst Zahlungen des späteren Insolvenzschuldners. Ebenso anfechtbar sind aber auch alle sonstigen Rechtshandlungen des Insolvenzschuldners, welche das Vermögen (= die spätere Insolvenzmasse) schmälern und verkleinern. Dazu gehören beispielsweise Verkäufe von Waren und Geschäftsausstattung unter Wert, Einkauf von Waren zu überhöhten Preisen, Schenkung von Sachen aus dem Geschäftsvermögen, Gewährung von Sicherheiten wie Grundschulden, Grundpfandrechten, Pfandrechten, Abtretung von Rechten, Verpfändungen, Belastungen von Grundstücken.

Welche Zahlungen / Handlungen können angefochten werden?

Wer bis hier gelesen hat stellt sich nun womöglich die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist Geschäfte zu tätigen ohne permanent befürchten zu müssen, dass der Geschäftspartner in die Insolvenz gerät und man dann alles verdiente wieder zurückzahlen muss. Das ist es – denn ein Insolvenzverwalter kann nicht beliebig alle Zahlungen anfechten, Es müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen, damit eine Zahlung angefochten werden kann.

Rückzahlung und Besicherung von Gesellschafterdarlehen

Regelmäßig anfechtbar ist die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen in einem Zeitraum von bis zu einem Jahr vor der Stellung des Insolvenzantrags (nicht vor Eröffnung des Verfahrens!). Das gleiche gilt für die Gewährung von Sicherheiten für die Gesellschafterdarlehen an den darlehensgebenden Gesellschafter – hier allerdings innerhalb eines Zeitraums von bis zu 10 Jahren (!) vor Stellung des Insolvenzantrags.

Eine Ausnahme hiervon gilt lediglich für Minderheitsgesellschafter.

Leistungen ohne entsprechende Gegenleistung

Zahlungen und Leistungen, welche der Insolvenzschuldner innerhalb von 4 Jahren vor Insolvenzantragstellung getätigt hat ohne dass dafür eine wirtschaftlich adäquate Gegenleistung erbracht wurde, sind immer anfechtbar. Dies betrifft sowohl Schenkungen, als auch Geschäfte, in denen absichtlich ein überhöhter Preis vereinbart wurde, um beispielsweise Ausfälle an anderer Stelle zu kompensieren. Ebenso erfasst ist hier das „Verramschen“ von Vermögenswerten in Kenntnis der drohenden Insolvenz (also wenn Vermögenswerte des Insolvenzschuldners noch schnell beiseite geschafft werden sollen – beispielsweise der Verkauf von Firmenfahrzeugen zu Schleuderpreisen).

Nicht anfechtbar sind hingegen Gelegenheitsgeschenke im üblichen / adäquaten Rahmen.

Leistungen an nahestehende Personen

Leistungen des Insolvenzschuldners an diesem „nahestehende“ Personen sind für den Insolvenzverwalter äußerst leicht anfechtbar. Das hat seinen Grund darin, dass das Gesetz die Vermutung birgt, eine nahestehende Person habe grundsätzlich Kenntnis von der wirtschaftlichen Lage des (späteren) Insolvenzschuldners.

Was sind nahestehende Personen?

Zuerst sollten wir kurz klären, was „nahestehende“ Personen im Sinne der Insolvenzordnung sind. Dies sind bei einer Kapitalgesellschaft (GmbH, AG und ähnliche) beispielsweise

  • GmbH-Geschäftsführer
  • Vorstände
  • Aufsichtsräte
  • Prokuristen
  • leitende Angestellte
  • Komplementäre einer KG
  • OHG-Gesellschafter

Ist die Beteiligung gleich oder größer als 25 Prozent am Gesellschaftsvermögen, dann zählen zu den nahestehenden Personen auch

  • GmbH-Gesellschafter
  • Aktionäre
  • Kommanditisten

Bei Individualpersonen (im Rahmen einer rPrivatinsolvenz oder bei Einzelkaufleuten) zählen zu den nahestehenden Personen unter anderem

  • Ehepartner / Lebenspartner
  • nahe Verwandte

Welcher Zeitraum ist relevant?

Bei Anfechtung von Zahlungen / Leistungen an nahe Verwandte ist zunächst zu beachten, dass Zahlungen innerhalb der letzten drei Monate vor Insolvenzantragstellung fast immer anfechtbar sind. Ist nachweisbar, dass mit der Zahlung die Begünstigung eines einzelnen Gläubigers (und damit die Benachteiligung der anderen Gläubiger) erreicht werden sollte, dann sind diese Zahlungen innerhalb von zwei Jahren vor Insolvenzantragstellung anfechtbar.

Kann diese Anfechtung abgewehrt werden?

Da das Gesetz hier nur die Vermutung in sich trägt, die nahestehende Person habe von der wirtschaftlichen Krise gewusst, kann diese Vermutung widerlegt werden und somit die Anfechtung abgewendet werden.

Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung

Zahlungen und Leistungen, welche eine unmittelbare Benachteiligung der anderen Gläubiger nach sich ziehen, sind immer anfechtbar. Dies sind insbesondere Zahlungen in dem Zeitraum, in welchem der Insolvenzschuldner bereits zahlungsunfähig ist oder gar bereits Insolvenzantrag gestellt wurde. und der Zahlungsempfänger dies wusste (oder eine nahestehende Person ist, von der man ja ausgeht, dass sie es wusste). Zeitlich erfasst sind hier Zahlungen und Handlungen in den letzten drei Monaten vor Insolvenzantrag, wurde die Zahlung an eine nahestehende Person geleistet, dann innerhalb der letzten 2 Jahre vor Insolvenzantrag.

Kongruente Zahlungen bei Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit

Zahlungen und Leistungen innerhalb von drei Monaten vor dem Insolvenzantrag sind auch dann anfechtbar, wenn es sich dabei um „konkruente Deckungen“ handelt, der Gläubiger aber Kenntnis von der bevorstehenden Insolvenz hatte. Hierbei handelt es sich um einen der – gerade für Handwerksbetriebe und Dienstleister – ärgerlichsten Fälle der Insolvenzanfechtung. Denn: „kongruente Deckung“ bedeutet, dass dem Grunde nach der Zahlungsempfänger einen fälligen und durchsetzbaren Anspruch auf die empfangene Leistung oder Zahlung hatte. Beispiel: Ein Handwerker hat Arbeiten erbracht, eine Rechnung gestellt und diese nun bezahlt bekommen.

Diese „verdienten“ Zahlungen sind jedoch anfechtbar, wenn der Zahlungsempfänger von der Insolvenzreife des Schuldners wusste. Diese Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit ist das größte Streitthema im Rahmen von Gerichtsprozessen in Bezug auf Insolvenzanfechtungen. Denn da sich diese Kenntnis selten beweisen lässt werden Indizien für die Kenntnis herangezogen. Dazu zählt beispielsweise, ob Forderungen mehrfach gemahnt werden mussten, Ratenzahlungen vereinbart wurden und ähnliches.

Fixe Kriterien, wann diese Kenntnis vorlag oder eben nicht, bestehen nicht. In jedem Fall ist hier einzeln zu erörtern, woraus der Insolvenzverwalter die Kenntnis herleitet und wie hoch das Risiko eines möglichen Gerichtsprozesses sein wird.

Inkongruente Zahlungen = Gläubigerbevorzugung

Oben haben wir bereits geschildert, dass kongruente Zahlungen solche sind, bei denen der Empfänger eine fällige und durchsetzbare Forderung als „Gegenstück“ besitzt. Bei inkongruenten Deckungen ist das genau umgekehrt. Hier hat der Empfänger gerade (noch) keinen fälligen Anspruch auf die Zahlung oder Leistung.

Zur Erklärung: Die Inkongruenz einer Deckung setzt nicht voraus, dass der Empfänger gar keinen Anspruch auf die Leistung hat. Laut Gesetzt liegt die Inkongruenz vor, wenn der Empfänger eine Zahlung oder Leistung erhalten hat, welcher er „nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte“. Beispiel: Der Insolvenzschuldner gewährt einem Kreditgeber mehr Sicherheiten als erforderlich. Oder ein Handwerker erbringt Leistungen, der Insolvenzschuldner zahlt bereits die voraussichtlichen Rechnungsbeträge, obwohl noch gar keine Rechnung gestellt wurde.

Vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung

Erbringt der (spätere) Insolvenzschuldner Leistungen oder Zahlungen vorsätzlich, um damit andere Gläubiger zu schädigen, dann sind diese Zahlungen und Leistungen immer anfechtbar. Je nachdem, ob bereits Zahlungsunfähigkeit vorlag und ob der Empfänger der Zahlung oder Leistung von beiden Umständen Kenntnis hatte, sind diese Zahlungen bis zu 10 Jahre vor Insolvenzantragstellung anfechtbar.

Nicht anfechtbar: Bargeschäfte

Nicht angefochten werden können sogenannte Bargeschäfte. Bargeschäfte setzen nicht zwingend voraus, dass eine Leistung tatsächlich in Bar bezahlt wird. Vielmehr liegt ein Bargeschäft dann vor, wenn Leistung und Preis in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, Leistungserbringung und Zahlung in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen (die Zahlung darf maximal 30 Tage nach Leistungserbringung erfolgen) und das Geschäft die anderen Gläubiger nicht benachteiligt.

Muss ich tatsächlich Zahlungen an den Insolvenzverwalter leisten?

Ist eine Anfechtung begründet, dann müssen selbstverständlich die geforderten Summen an den insolvenzverwalter gezahlt werden. Erfolgt keine Zahlung, dann wird der Insolvenzverwalter Sie auf Zahlung verklagen und gegebenen Falles die Zwangsvollstreckung gegen Sie einleiten.

Wie kann man sich gegen eine Insolvenzanfechtung wehren?

Zunächst sollten Sie sich anwaltlich beraten lassen und prüfen lassen, ob der Anfechtungsanspruch berechtigt ist. Sollte man dann feststellen, dass der Anspruch unberechtigt ist sollte bereits außergerichtlich durch einen Anwalt versucht werden, die Forderung des Insolvenzverwalters abzuwenden.

Sollte man jedoch im Rahmen der Prüfung feststellen, dass die Forderung berechtigt ist – oder zumindest sein könnte – dann ist es ratsam, über den beauftragten Rechtsanwalt  mit dem Insolvenzverwalter in Kontakt zu treten und an einem außergerichtlichen Vergleich zu arbeiten. Aufgrund der großen Unsicherheiten bei Anfechtungsprozessen und den damit verbundenen Kosten und dem Zeitverlust sind Insolvenzverwalter fast immer bereit, einen Vergleich zu treffen statt jedenfalls eine Klage anzustrengen.

Lassen sich Insolvenzanfechtungen vermeiden?

Insolvenzanfechtungen lassen sich mit gewissem Aufwand vermeiden. Einerseits sind Anfechtungen bei Bargeschäften nicht möglich – wenn Sie also die Möglichkeit haben, Vorkasse zu verlangen oder Ihre Rechnungsposten unmittelbar einzuziehen, dann sollten Sie dies tun.

Bei Dienstleistern, die auf Rechnungsbasis tätig sind, lässt sich das Risiko von Insolvenzanfechtungen durch Compliance- und Controllingmaßnahmen im Bestellwesen und Rechnungswesen eindämmen. Bei Fragen hierzu stehen wir Ihnen gerne persönlich zur Verfügung.

Daneben besteht die Möglichkeit, spezielle Ausfallversicherungen gegen Insolvenzanfechtungen abzuschließen.

 


Hier erhalten Sie weitere Informationen zu unserer Tätigkeit im Zusammenhang mit Insolvenzanfechtungen.

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Es ist kaum einige Tage her, dass der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck in Berlin angeblich mit einem Tütchen der Modedroge Chrystal Meth aufgeschnappt wurde, da tauchen schon die nächsten Presseartikel mit Details der Causa „Breaking Beck“ in diversen Nachrichtenportalen auf – und wäre es so wie beispielsweise Focus* oder der Tagesspiegel schreiben, dann würde das jedem Strafverteidiger oder auch nur jedem Anwalt, der irgendetwas mit Strafrecht zu tun hat, die Haare zu Berge stehen lassen. Es wäre nämlich ein Musterbeispiel dafür, wie eine (wohl) gut gemeinte Aussage die Sache nur noch schlimmer machen würde.

Keine Aussage ohne Anwalt – die goldene Regel

Die goldene Regel eines jeden Strafverteidigers, welche dieser seinen Mandanten immer zuerst und mit Nachdruck versucht nahezubringen lautet „Keine Aussage ohne Anwalt!“. Warum das so ist und aus Sicht jeden Anwalts im Strafrecht auch so sein muss, zeigt sich an der Darstellung des Falls Volker Beck in den oben genannten Nachrichtenmedien.

Wie mittlerweile einige Nachrichtenseiten melden soll Beck gegenüber der Polizei bereits im ersten Moment Angaben zu den bei ihm gefundenen Drogen gemacht und die „klassische“ Aussage geliefert haben, „die Drogen seien gar nicht für ihn“ um gleich darauf noch zu ergänzen, er handhabe seit je her einen liberalen Umgang mit Betäubungsmitteln. Wenn dem so wäre, dann wäre das der strafprozessuale Jackpot.

Wie wir zwischenzeitlich von Volker Becks Büro in Berlin erfahren haben, war dem wohl tatsächlich nicht so. Herr Beck habe keinerlei Angaben zur Sache gemacht, so teilte man uns von dort mit (Hier die uns übersendete Presseunterweisung Volker Beck 20160311 (002)).

Gut gemeint ist immer schlecht gemacht bei Aussagen

Dass, was der Focus da Herrn Beck in den Mund legt, kommt einem als Strafverteidiger durchaus bekannt vor. Die meisten Mandanten, zumindest die ohne Erfahrung mit Ermittlungsbehörden, haben den Wunsch und Willen, sich bereits von der ersten Sekunde an zu entlasten – und erzielen genau den gegenteiligen Effekt. Bei ihnen herrscht also noch immer der Irrglaube, man könne seine Situation verbessern, wenn man direkt etwas zur Sache sagt. Dieser Irrglaube kommt mit zwei – für die meisten Mandanten nicht kalkulierten – Problemen daher: 1. können die allermeisten Menschen mangels exakter Kenntnis der Tatbestände im Strafrecht garnicht abschätzen, was für sie besser oder schlechter ist und 2. schenken ihnen die Polizei und Staatsanwaltschaft in den meisten Fällen sowieso keinen Glauben.

Not oder Elend – was hätten Sie gerne?

Nehmen wir beispielsweise die Darstellung des Focus von einer angeblichen Aussage Becks. Focus Online zufolge soll er geäußert haben, „das Chrystal Meth sei garnicht für ihn bestimmt gewesen“ und nach Schilderung des Tagesspiegels online vom 12.03.2016 habe er „schon immer eine liberale Drogenpolitik vertreten“. Wenn das stimmen würde – was es ja nach seinen Angaben uns gegenüber nicht tut, dann wäre das menschlich vollkommen verständlich. Viele Beschuldigte in Ermittlungsverfahren reagieren entsprechend; es besteht der Drang, zum einen die Schuld von sich auf einen Fremden abzuwälzen und gleichzeitig die Überzeugung zu schaffen, so schlimm sei es ja nicht gewesen.

Ausgangspunkt der ganzen Sache war im Fall Beck der Fund eines Tütchens mit 0,6 Gramm Chrystal in seinem Besitz. Man könnte schon fast sagen, in Berlin, der Stadt von Berghain und Watergate, ist das normal (dementsprechend werden Verfahren bei solchen Mengen in Berlin auch sehr oft sang- und klanglos eingestellt). Zugegeben ist es ein Skandal, dass ein Bundestagsabgeordneter mit illegalen Drogen erwischt wird. Aber in rein strafrechtlicher Hinsicht ist das zu verschmerzen. 0,6 Gramm Chrystal sind eine geringe Menge und offensichtlich für den Eigengebrauch gedacht. Nicht schön, aber wer es braucht… Auch in anderen, konservativeren Bundesländern wäre hierfür wohl eine Strafe von maximal 30 Tagessätzen zu erwarten, das ganze würde per Strafbefehl ohne großes Aufsehen und Verfahren erledigt. Ärgerlich, aber schnell ohne größere Blessuren vorbei. Wenn man – wie Beck – keine Aussage macht hätte und seinen Strafverteidiger alles regeln lässt. Wenn.

Per voreiliger Aussage vom Besitz zur Weitergabe von Drogen

Laut anderslautender Meldung bei Focus online habe er nun aber die Polizei wissen lassen, das Chrystal sei garnicht für ihn bestimmt gewesen. Wäre das tatsächlich der Fall gewesen, dann wäre das ein Dilemma. Denn: Sollte man einem auf frischer Tat ertappten Beschudigten diese Aussage tatsächlich glauben, dann würde sich die juristische Bewertung des Vorgangs ganz gravierend ändern – nämlich vom (teilweise – vor allem in Berlin – glatt straflosen) Eigenbesitz einer Minimenge Modedroge hin zur unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln.

Und was ist mit dem Einzelfall? Nun ja, wer  – wie es der Tagesspiegel Beck in den Mund legt – angibt, er handhabe den Umgang mit Betäubungsmitteln seit je her „liberal“, der dürfte Aug in Aug mit einem Einzelrichter kaum darauf hoffen, dass dieser von einen Einzelfall ausgeht.

Fazit: Zurückhaltung üben und keine Aussage machen!

Beck hat alles richtig gemacht und keine Angaben zur Sache gemacht. Denjenigen, die es doch tun, ist das menschlich nicht vorzuwerfen – sie erliegen schlicht dem Drang, sich irgendwie aus der höchst prekären Situation des Drogenfunds herauszureden. In strafrechtlicher Hinsicht ist es eine Katastrophe und dürfte für diejenigen gleich wie unglaublich teuer werden (sei es die Geldstrafe oder das Honorar für seinen Strafverteidiger (der jetzt um so mehr Arbeiten muss) – oder eben beides). Daher am Beispiel Volker Beck erklärt noch einmal der unbedingte Rat:

Bei Ermittlungen und wenn die Polizei Sie als Beschuldigten vernimmt – machen Sie NIEMALS eine Aussage, ohne zuvor einen Strafverteidiger beauftragt zu haben!


Hinweis: In einer vorherigen Version dieses Artikels hieß es unter Verweis auf die Quellen Focus online und Tagesspiegel online noch, Volker Beck habe bereits bei Auffinden der Drogen durch die Polizei geäußert, diese seien nicht für ihn bestimmt. Dabei handelt es sich um eine Falschmeldung der Presse, wie uns im Nachhinein das Büro von Herrn Beck mitteilte.


Quelle: Focus Online, Meldung vom 11.3.2016, http://www.focus.de/politik/deutschland/drogenfund-bei-volker-beck-becks-aussage-bei-polizei-und-bringt-ihn-noch-mehr-in-schwierigkeiten_id_5350159.html


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Rechtsanwalt & Strafverteidiger Tim Wullbrandt

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Wer als Zeuge vor Gericht aussagen soll, egal ob in einem Strafverfahren oder in einer Zivilsache, der kann unter Umständen vor seiner eigentlichen Aussage mit einer ziemlich unangenehmen Sache konfrontiert werden: Wartezeit. Und nicht nur wenig Wartezeit, sondern unter Umständen ziemlich viel Wartezeit.

Was Zeugen wissen sollten

Bevor das Gericht die Zeugenvernehmungen terminiert und die Ladungen versendet, macht es sich einen groben Überblick davon, was die einzelnen Zeugen wohl sagen werden und wie lange das dauern wird. Es gibt vorsitzende Richter, die tatsächlich ohne Schnörkel und in hohem Tempo Vernehmungen durchführen. Oft passiert es aber, dass unvorhergesehenes passiert, was den gesamten Zeitplan durcheinander wirft.

Immer etwas zu Lesen dabei haben!

Beispiel: Verhandlung einer Strafsache, der Angeklagte sitzt in Haft, Verhandlungsbeginn soll 8.45 Uhr sein, die Zeugen sind im Viertelstunden-Takt geladen. Sie sind der fünfte Zeuge, also auf 9.45 Uhr geladen. Wenn alles schief geht, dann steht der Transport des Angeklagten aus der Justizvollzugsanstalt zum Gericht im Stau, der Angeklagte kommt erst um 9.15 Uhr zum Gericht. Der zweite geladene Zeuge redet statt 15 Minuten 30 Minuten lang. Zwischendrin müssen Formalien geklärt werden. Zeuge Nummer 4 braucht – da er unbekannter Weise mehr gesehen und erlebt hat – 45 Minuten. Jetzt kommt Zeuge Nr. 5 dran – statt um 9.45 Uhr (wie in der Ladung angegeben) erst um 11.15 Uhr. Die Wartezeit bis dahin muss man unter Umständen auf einem kargen Flur des Gerichts verbringen. Wer das einmal erlebt hat, der weiss, wie sich ein Tiger im Zoo fühlt… (bloß dass der noch ein bisschen Spielzeug und einen Baum hat).

Handy im Gericht: Vorsicht Funkloch

Wer jetzt denkt „Macht nichts, ich habe ja immer Mein Handy dabei“, der sei gewarnt: Aus mir nicht bekannten Gründen gibt es in einem Überwiegenden Teil aller Gerichte, vor allem in Altbauten mit meterdicken Mauern, keinen Handyempfang…

Meine Empfehlung also an jeden, der vor Gericht als Zeuge geladen ist: Immer etwas zu Lesen dabei haben!


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Uli Hoeneß ist bald ein freier Mann. Nachdem bereits in der Woche vor Weihnachten vergangenen Jahres bekannt geworden war, dass die Anwälte von Uli Hoeneß einen entsprechenden Antrag beim Landgericht Augsburg eingereicht hatten, hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts nun entschieden: Uli Hoeneß kommt Ende Februar 2016 frei.

Uli Hoeneß nach Verbüßung der Halbstrafe frei – Landgericht bewilligt Entlassung

Das ist eine schöne Sache. Für Fußballdeutschland und für die Familie Hoeneß sowieso. In den (sozialen) Medien und an den Stammtischen fragt man sich allerdings: Wie kann es sein, dass Uli Hoeneß nach gerade einmal der Hälfte der Haftstrafe (er war im Frühjahr 2014 wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden, welche er am 2. Juni 2014 angetreten hatte) schon wieder entlassen wird?

Eine laienhafte Stammtisch-Erklärung ist schnell gefunden – sie lautet „Promibonus“. In Wahrheit ist die Erklärung jedoch eine andere – sie lautet „Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe“ oder kürzer und hier im Detail „Halbstrafenaussetzung“.

Was ist eine Halbstrafenaussetzung?

Die vorzeitige Beendigung der Haft ist im Gesetz geregelt. Der entscheidende Paragraph ist § 57 StGB (Strafgesetzbuch). Dieser Paragraph hat insgesamt 7 Absätze, der Einfachheit halber hier einmal die für uns wichtigen Absätze 1 und 2 im Wortlaut:

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1. zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2. dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3. die verurteilte Person einwilligt.

Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1. die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2. die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,

und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

Unter Strafgefangenen ist vor allem eines bekannt: Die sogenannte „2/3-Regel“. Was das bedeutet lässt sich oben in Absatz 1 des § 57 StGB nachlesen. Stehen keine Sicherheitsbedenken oder sonstigen Hindernisse in der Person des Gefangenen entgegen und hat er sich während der Haft gut geführt, dann erfolgt in einem Großteil der Fälle die Entlassung nach 2/3 der Haftstrafe. Das ist also der „Normalfall“.

Ist mit der Entlassung alles erledigt?

Bedeutet das, dass mit der Entlassung alles erledigt ist? Nein, so einfach ist das nicht. Wie man dem Paragraphen 57 StGB entnehmen kann lässt das Gericht den Gefangenen nicht einfach frei, sondern es setzt die Reststrafe zur Bewährung aus. Das Bedeutet: Das Gericht legt einen Bewährungszeitraum, meistens 2-3 Jahre, fest. Begeht der Entlassene in diesem Zeitraum eine neue Straftat, dann gilt das als Bewährungsbruch. Er wird dann wegen dieser neuen Tat verurteilt und zusätzlich wird die Bewährung widerrufen – er muss also das restliche Drittel der alten Strafe auch noch absitzen.

Entlassung schon nach halber Strafe?

Aber Moment – Uli Hoeneß hat die 2/3 ja noch gar nicht voll. Er wird ja nun bereits nach der Hälfte der Strafe aus der Haft entlassen. Wie ist das möglich? Hat Hoeneß doch einen Promibonus oder hat er sich freigekauft? Nein, hat er nicht.

Uli Hoeneß profitiert von der Regelung des § 57 Abs.2 Nummer 2 StGB.

Nach Absatz 2 Nummer 1 des Paragraphen 57 StGB ist eine Entlassung bereits nach der Hälfte der Strafe dann möglich, wenn die Anforderungen des Absatz 1 erfüllt sind (das sind die Anforderungen an die Entlassung nach 2/3, also keine Sicherheitsbedenken entgegenstehen und der Gefangene sich gut geführt und mit der Tat auseinandergesetzt hat) und die Strafe insgesamt maximal zwei Jahre betragen hätte. Auch das ist bei Uli Hoeneß nicht der Fall – er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

Absatzz 2 Nummer 2 des Paragraphen 57 StGB lässt eine Entlassung nach der Hälfte der Strafe jedoch zu, wenn

die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,

und alle anderen Voraussetzungen (wie erwähnt – keine Sicherheitsbedenken, Auseinandersetzen mit der Tat, gute Führung…) auch erfüllt sind.

Persönlichkeit der verurteilten Person = Promibonus?

Wenn also unter anderem die Persönlichkeit der verurteilten Person mit entscheidend ist – haben wir es dann mit einem gar gesetzlich verankerten Promibonus zu tun? Nein, haben wir nicht. Denn: Das Gericht muss sich bei seiner Bewertung an gewisse Maßstäbe, Anforderungen und Regeln halten. Und genau diese werden wir hier jetzt einmal kurz erläutern.

Verbüßung der Halbstrafe und Einwilligung des Verurteilten

Die am einfachsten zu erklärenden Anforderungen dürften wohl diese beiden sein: Der Gefangene muss bereits die Hälfte der verhängten Strafe verbüßt haben und er muss in die Entlassung einwilligen. Ja, richtig gelesen: Er muss einwilligen. Denn in der Tat, es gibt auch Gefangene, die – oft wegen Obdachlosigkeit und instabilen wirtschaftlichen und familiären Verhältnissen, lieber in Haft sind, als „hilflos“ der Straße ausgesetzt zu sein. Traurig, aber wahr.

Mindestens sechs Monate verbüßt

Von der gesamten Haftstrafe müssen mindestens sechs Monate verbüßt sein. Wenn die Strafe also insgesamt nur 11 Monate beträgt, dann ist eine Entlassung nach der Hälfte – also nach 5 1/2 Monaten nicht möglich, da noch keine 6 Monate verbüßt sind.

Besondere Umstände

Jetzt wird es knifflig: Es müssen besondere Umstände vorliegen. Und damit stellt sich die Frage: Was sind besondere Umstände?Grundsätzlich liegt es am Gericht, hier der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts, daran zu entscheiden, ob besondere Umstände vorliegen. Das Gericht muss sich dabei jedoch an gewissen Vorgaben, die sich aus der bisherigen Rechtsprechung und aus der Kommentarliteratur zum Strafgesetzbuch ergeben, orientieren und kann nicht willkürlich entscheiden. Wann liegen also besondere Umstände vor?

Der nach Ansicht des BGH (Bundesgerichtshof, Beschluß vom 22.10.1980 – 3 StR 376/80) ergeben sich besondere Umstände

aus der Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit des Verurteilten und seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergeben. Dabei handelt es sich um Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, nicht als unangebracht und als den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen

Als ausreichend sind nur solche Umstände anzusehen, die im Vergleich mit gewöhnlichen, durchschnittlichen, allgemeinen oder einfachen Milderungsmöglichkeiten besonderes Gewicht besitzen oder eine Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechts- und Schuldgehalts der Tat als nicht unangebracht und den vom Strafrecht geschützten Interessen nicht zuwiderlaufend erscheinen lassen. Dabei können Umstände, die einzeln lediglich durchschnittliche Gründe wären, durch ihr Zusammentreffen ein solches Gewicht erlangen, dass ihnen in ihrer Gesamtheit die Bedeutung besonderer Umstände zuerkannt werden muss (Quelle: Beck´scher OK zum StGB von Heintschel-Heinegg, § 57, Rn 15.1). Im einzelnen können das sein: Bemühen um Schadenswiedergutmachung, Führung im Vollzug, erhärtete Haftbedingungen etc.).

Bei einer Steuerstraftat können besondere Umstände aufgrund der Höhe des Steuerschadens und aufgrund von Vorstrafen des Verurteilten fehlen, selbst wenn ansonsten zahlreiche ihm günstige Umstände vorliegen (OLG Hamm NStZ-RR 2013, 158). Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass bei einer vollständigen Wiedergutmachung des Steuerschadens sehr wohl von besonderen Umständen ausgegangen werden kann.

Uli´s Umstände

Was hat jetzt also bei Uli Hoeneß dazu geführt, dass er schon nach der Hälfte der Strafe entlassen wird? Welche besonderen Umstände liegen vor?

Zum einen hat sie Uli Hoeneß in der Haft, sowohl in der JVA in Landsberg als auch später im Freigängerhaus vorbildlich geführt. Soweit bekannt hat er alle ihm aufgetragenen Arbeiten (unter anderem Kleiderkammer) ohne Murren ausgeführt und sich nie aus dem Kreis der Gefangenen hervorgehoben.

Im Gegensatz dazu hat man bei Uli Hoeneß wohl tatsächlich erhärtete Haftbedingungen anerkannt. Das ist damit zu begründen, dass Hoeneß während der Haft mehrfach Erpressungsversuchen ausgesetzt war. Einer der (versuchten) Erpresser wurde deswegen sogar bereits verurteilt. Darüber hinaus stand er unter permanenter Beobachtung durch Medien und Öffentlichkeit, die ihre Informationen offenbar auch zu großen Teilen von anderen Mitgefangenen heranzogen, was in einer solchen Situation durchaus eine erhärtete Haftsituation darstellt.

Dass von Uli Hoeneß keine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht dürfte einleuchten.

Thema Steuern: Wie wir oben bereits gelesen haben kann die Höhe einer bestehen gebliebenen Steuerschuld der Halbstrafenentlassung entgegenstehen. Hier hatte das Gericht jedoch zu berücksichtigen, dass Uli Hoeneß während der Haftzeit aus seinem Privatvermögen mutmaßlich eine Summe von über 50 Millionen Euro an den Fiskus gezahlt und damit seine Steuerschuld getilgt hat. Damit, im Zusammenspiel mit seiner Selbstanzeige, war die Grundlage für eine Halbstrafenentlassung gegeben.

Also doch ein Promibonus weil er sich frei gekauft hat? Nach meiner Auffassung ein klares „Nein“ dazu. Denn: Uli Hoeneß hat genau den Schaden wieder gut gemacht, den er verursacht hat. Er hat lediglich den Vorteil genutzt, dass er noch über genügend Kapital verfügte, um den durch ihn angerichteten Schaden frühzeitig auszugleichen. Grundsätzlich ist jeder Straftäter verpflichtet, den von ihm verursachten Schaden – gleich in welcher Höhe, ob hunderte oder Millionen Euro – auszugleichen, was jedoch den meisten nicht gelingt, da in den seltensten Fällen aus dem erlangten oder zerstörten Kapitalreserven gebildet werden.

Fazit

Uli Hoeneß kommt nach der Hälfte der Strafzeit auf Bewährung frei. Die hierfür vom Gesetz geforderten besonderen Umstände liegen vor.


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Rechtsanwalt & Strafverteidiger Tim Wullbrandt

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Wer wegen einer (vermeintlichen) Straftat eine Anzeige bei der örtlichen Polizei oder der zuständigen Staatsanwaltschaft stellt, der hat zumeist auch ein eigenes Interesse an der Strafverfolgung des Täters. In Zeiten stark zunehmender Belastung – und oftmals schlicht Überlastung – der Ermittlungsbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte neigen gerade die Staatsanwaltschaften immer öfter dazu, Ermittlungsverfahren bei kleineren Delikten wegen Geringfügigkeit einzustellen und / oder den Anzeigenerstatter auf die Möglichkeit einer Privatklage zu verweisen.

OLG Karlsruhe: Kein Rechtsmittel gegen Geringfügigkeitseinstellung

Beim Anzeigenerstatter, der durch die – aus Sicht der Staatsanwaltschaft – häufig doch stark beeinflusst und beeinträchtigt wurde, stellt solch eine Einstellung mit der Begründung, es habe sich nur um eine Nichtigkeit oder ganz geringfügige Tat gehandelt, stößt dies häufig auf völliges Unverständnis. Es selbst möchte die an ihm begangene Tat gesühnt sehen. Dies führt oft dazu, dass sich die Anzeigenerstatter den Strafrechtsanwalt des Vertrauens aufsuchen und wissen möchten, was sie gegen eine solche Einstellung tun können, um das Verfahren weiter betrieben zu sehen.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat jetzt in einem Beschluss vom 24.08.2015, Aktenzeichen 2 VAs 19-21/15, klar gestellt, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren nach § 153 Abs. 1 StPO oder unter Verweisung auf den Privatklageweg nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen, durch den Verletzten nicht anfechtbar ist. 

Entscheidung zur Einstellung durch Verletzten nicht anfechtbar

Was war geschehen? Die Staatsanwaltschaft Heidelberg hatte mehrere in Folge von Strafanzeigen eingeleitete Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen Hausfriedensbruch, Beleidigung etc., gemäß § 153 I StPO eingestellt. Hiergegen wendete sich der Anzeigenerstatter mit einem auf „§ 23 EGGVG oder Art. 19 IV iVm § 153 I 1 analog StPO“ gestützten Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Dieser Antrag war an die für Heidelberg örtlich zuständige Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe und hierüber an das Oberlandesgericht Karlsruhe zur Entscheidung gelangt.

Antrag auf gerichtliche Entscheidung unzulässig

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG als unzulässig verworfen. Eine Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft nach § 153 StPO wegen Geringfügigkeit und / oder mangelndem öffentlichen Interesse bzw. § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdacht i. V. m. mit einer Verweisung auf den Privatklageweg  kann vom möglichen Verletzten nicht im Wege eines Antrags im Klageerzwingungsverfahren angefochten werden (§ 172 Abs. 2 Satz 3 StPO). Daher kommen für den Anzeigeerstatter bzw. Verletzten bei solchen Einstellungsverfügungen nur die Gegenvorstellung oder Dienstaufsichtsbeschwerde in Betracht. Dies gilt auch dann, wenn der Anzeigeerstatter die Verneinung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft (§ 376 StPO) für unrichtig hält.

Fehlende Anfechtungsmöglichkeit ist verfassungsmäßig

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat in seinem Beschluss vom 24.08.2015 auch gleich Ausführungen dazu gemacht, ob eine solche Entscheidung, nämlich dass gegen die Einstellungsverfügung kein Rechtsweg besteht, verfassungsrechtlich zulässig ist. Sie ist es.

Denn: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet auch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG keine Anfechtungsmöglichkeit gegen eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft. Ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG setzte nämlich eine im Interesse des Einzelnen gewährte Rechtsposition voraus; nur zum Schutz derartiger Rechtspositionen ist der Rechtsweg verfassungsrechtlich garantiert. Dabei genügt die Verletzung bloßer Interessen nicht; entscheidend ist, ob die einschlägige Norm dem Schutz des Betroffenen zu dienen bestimmt ist, d. h. ob sie einen derartigen Schutz bezweckt und nicht lediglich zur Folge hat. Eine solche Rechtsposition des Antragstellers, deren Verletzung er gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG im Rechtsweg geltend machen könnte, ist nicht gegeben. § 153 StPO bezweckt nicht den Schutz des durch die Straftat Verletzten. Eine Verletzung von Rechten des durch die Straftat Verletzten scheidet grundsätzlich auch aus, wenn es um die Beurteilung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft geht. Daher ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber ein solches Interesse bei Verfahrenseinstellungen nicht mit einer das Klageerzwingungsverfahren eröffnenden Wirkung gewichtet hat.

Lediglich Dienstaufsichtsbeschwerde möglich

Das Oberlandesgericht kommt zu dem Schluss, dass in solchen Fällen lediglich eine Dienstaufsichtsbeschwerde in Betracht kommt. Die Erfolgsaussichten einer solchen Dienstaufsichtsbeschwerde dürften in den allermeisten Fällen leicht zu beurteilen sein. Nicht umsonst ist die Dienstaufsichtsbeschwerde als das Institut mit den drei „F“ bekannt: Fristlos, formlos, fruchtlos…


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